Mittwoch, 24. Dezember 2008 Lamborghini Miura - ein Jahrhundert-Entwurf
Der Sportwagen – 4,36 Meter lang, 1,76 m breit, aber nur 1,06 m hoch – kauerte über dem Asphalt wie eine Raubkatze.
Für die meisten Kenner ist er der klassische Lamborghini schlechthin: Der Miura, von 1966 bis 1972 gebaut, war der erste radikale Sportwagen aus Sant’Agata Bolognese, das erste messerscharfe Werkzeug. Mit bis zu 385 PS Leistung zählte der Zweisitzer zu den stärksten Autos seiner Zeit, in der Höchstgeschwindigkeit setzte er Bestmarken. Unter seiner atemberaubend schöne Karosserie steckte innovative Technik - der quer montierte V12 machte den Miura zum ersten Mittelmotor-Sportwagen für die Strasse. Der Sportwagen von Lamborghini war ein Jahrhundert-Entwurf.
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Mit den 274 km/h Höchstgeschwindigkeit, die das Werk nannte, war der Miura eine Zeit lang das schnellste Serienauto der Welt. |
Die Auslassnockenwelle der linken Zylinderbank rotierte wenige Zentimeter von den Hinterköpfen der Passagiere entfernt, zwischen den Abteilen von Mensch und Maschine lag nur eine Scheibe aus Plexiglas. |
Wie kompromisslos radikal und modern der Miura gedacht war, wurde erst im Innenraum erlebbar. Stars wie Dean Martin oder Rod Stewart und Potentaten wie der Schah von Persien wollten unbedingt einen Miura haben. |
Motor, Getriebe und Differenzial wurden aus der selben Ölwanne geschmiert, und die Schaltzüge verliefen durch den Motorblock. Wenn der 77 Liter fassende Benzintank im Bug halbleer war, lagen etwa 55 Prozent des Fahrzeuggewichts auf der Hinterachse. |
Die flach liegenden, von Kunststoff-Zierstäben eingefassten Scheinwerfer prägten den Bug, der Fahrer konnte sie mit einem Schalter aufrecht stellen und mit einer zweiten Taste einschalten. |
Das Publikum war hingerissen. Der Mittelmotor-Sportler für die Straße war neu, aufregend, einzigartig, er überstrahlte die ganze Sportwagenszene der 60er Jahre. |
Auf dem Genfer Salon von 1971 schliesslich zeigte Lamborghini die letzte Evolutionsstufe – den SV (Super Veloce) mit 385 PS bei 7850 1/min. |
Bis zum Auslaufen der Baureihe im Jahr 1972, als Ferruccio Lamborghini die Kontrolle über die Marke abgab, belief sich die Miura-Produktion auf 764 Exemplare. |
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Vom ersten Augenblick an war der Miura eine Herzenssache, das Werk von drei jungen Auto-Enthusiasten. Chefkonstrukteur Gian Paolo Dallara, sein Assistent und Produktionsleiter Paolo Stanzani und der in Neuseeland geborene Testfahrer Bob Wallace zählten noch keine 25 Lenze, als sie 1963 zu der neu gegründeten Sportwagenfirma stiessen. Schon mit dem ersten Auto, dem 350 GT, konnten sie ihre Talente nachweisen, doch das eher konventionelle Konzept befriedigte ihren kreativen Tatendrang nicht.
Im Motorsport vollzog sich in jenen Jahren der grosse Umbruch zur Mittelmotor-Bauweise; Sportwagen wie der Ford GT 40 mit leichten Chassis und hochentwickelten Aufhängungen feierten erste Erfolge. Die drei jungen Wilden von Lamborghini zeichneten Anfang 1965 erste Skizzen für ein eigenes, radikales Layout - nach Feierabend und unter fast konspirativen Umständen, wie berichtet wird.
Ferruccio Lamborghini, auf die Idee des gepflegten Gran Turismo fixiert, würde mit einem harten, engen, brüllenden Quasi-Rennwagen wenig anfangen können, befürchteten die jungen Männer. Umso grösser war ihre Überraschung, als sie die Pläne dann doch vorlegten. Lamborghini war begeistert und beschloss, eine kleine Serie unter der Codebezeichnung Tipo 105 zu starten. Als ersten Schritt liess er im November 1965 ein "rolling chassis2 auf dem Turiner Salon präsentieren.
Als Unterbau diente eine neuartige, selbsttragende Konstruktion aus vielfach gelochten und kunstvoll miteinander verschweissten Stahlblechen und -profilen, die im Bereich der Passagierzelle ein Monocoque bildete. Das Chassis griff Konstruktionsideen aus der Luftfahrt auf; Lamborghini flirtete damals mit einem neuen Geschäftsfeld, dem Bau von Hubschraubern, aus dem jedoch nichts wurde. Das Fahrwerk - doppelte Dreieckslenker, Federbeine und Scheibenbremsen rundum, Stabilisatoren vorn und hinten - war vom 350 GT abgeleitet, mit Ausnahme der neuen, hochmodernen Zahnstangenlenkung. Die grösste Innovation auf dem Feld der Strassensportwagen war jedoch die Einbaulage des Motors. Das ganze Konzept war auf extreme Wendigkeit ausgelegt, es kombinierte einen zentralen Schwerpunkt mit einem kurzen Radstand von 2,46 Metern. Deshalb sass der Vierliter-V12 platzsparend quer vor der Hinterachse, hart hinter der Schottwand zum Passagierraum. Hausintern hiess das Projekt auch 400 TP, bezogen auf den Hubraum des Motors und seine Einbaulage (trasversale posteriore: quer hinten).
Einlässe in den Türschwellern versorgten die Alu-Maschine mit Ansaugluft, vier Fallstrom-Dreifachvergaser von Weber bereiteten das Gemisch auf. Bei 7000 U/min gab der Kurzhuber 350 PS Leistung ab; inoffiziell wurden später auch 320 PS genannt. Bei den drei ersten Miura-Motoren drehte sich die Kurbelwelle noch gegen den Uhrzeigersinn, was Dallara dann im Interesse eines leiseren Laufs änderte.
Meisterlich und dabei elegant lösten das junge Ingenieursteam auch die Unterbringung der Kraftübertragung. Das Gehäuse, das die Kupplung, das selbst gefertigte Fünfganggetriebe und das Differenzial von ZF beherbergte, war in einem Stück mit dem Kurbelgehäuse des Motors gegossen. Motor, Getriebe und Differenzial wurden aus der selben Ölwanne geschmiert, und die Schaltzüge verliefen durch den Motorblock. Wenn der 77 Liter fassende Benzintank im Bug halbleer war, lagen etwa 55 Prozent des Fahrzeuggewichts auf der Hinterachse.
Das "rolling chassis" deutete so hohe Potenziale an, dass sich die Karosseriefirmen darum rissen, es einkleiden zu dürfen, zumal Lamborghinis bisheriger Partner Touring in Mailand kurz vor dem Konkurs stand. Den Zuschlag für das Design und die Fertigung der Aluminium-Haut erhielt Nuccio Bertone in Grugliasco bei Turin, der sich Ferruccio Lamborghini mit den Worten empfohlen hatte: "Ich kann den Schuh machen, der zu Ihrem Fuss passt." Er übergab das Projekt seinem neuen Designchef, dem erst 27jährigen Marcello Gandini. So wurde der Miura mehr als ein Auto. Er wuchs zu einer Ikone der wilden späten 60er Jahre heran.
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