Glücklicherweise enden Unfälle mit ähnlicher Ursache nicht immer so schrecklich. Aber: 300 000 der 2,4 Millionen Unfälle jährlich gehen auf das Konto internetfähiger Handys, so schätzt Verkehrsforscher Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen. Besonders das Schreiben oder Lesen von Whats-App- oder SMS-Nachrichten am Steuer ist ein großes Problem. Ähnlich sieht es der ADAC: Bei jedem zehnten Verkehrsunfall spiele Ablenkung inzwischen eine entscheidende Rolle. Und US-Studien lassen nach Angaben des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) in Bonn den Schluss zu, dass das Schreiben oder Lesen von Textnachrichten beim Autofahren das Unfallrisiko um mehr als das 20-Fache erhöht, Telefonieren „nur“ um das Sechsfache. Gefährdet sind vor allem junge Fahrer, die es gewohnt sind, über soziale Medien wie Whats App, Twitter oder Facebook zu kommunizieren. Unfallursachen durch fehlende Konzentration auf den Verkehr sind vielfältig: Längst geht es um mehr als die Nutzung von Mobiltelefonen und Navigationsgeräten im Pkw. Auch Ablenkung zu Fuß und auf dem Fahrrad, etwa durch Kopfhörer oder Smartphones, beeinflusst das Unfallgeschehen. Welche Möglichkeiten bieten also Verkehrsrecht, Fahrerassistenzsysteme und Automatisierung? Welche weiteren Wege der Verhaltensbeeinflussung gibt es? Zur Diskussion rund um diese Fragen hatte der Deutsche Verkehrssicherheitsrat eine Runde ausgewiesener Experten nach Bonn. Titel des Kolloquiums: „Ablenkung im Straßenverkehr – Probleme und Lösungen“. Fazit: Das Smartphone lenkt am stärksten ab. Dazu schilderte Ulrich Klaus Becker, Vizepräsident für Verkehr beim ADAC, ein krasses Beispiel. Als im Emirat Abu Dhabi am Persischen Golf kürzlich das Mobilfunknetz für zwei Wochen seinen Geist aufgab, verzeichnete die Polizei zur gleichen Zeit einen Rückgang der Verkehrsunfälle um die Hälfte. Mark Vollrath von der Technischen Universität Braunschweig erklärte, warum: „Texte am Steuer lesen oder schreiben erhöht das Risiko stärker als Alkohol.“ Ein einfaches Telefonat oder die Suche nach einer MP3-Datei in der Musikanlage entspräche etwa 0,8 Promille, eine SMS schreiben sogar 1,1 Promille, was gleichbedeutend mit absoluter Fahruntüchtigkeit ist und vor Gericht als Straftat gilt.
Wer bei Tempo 50 nur zwei Sekunden den Blick von der Fahrbahn abwendet, legt knapp 30 Meter im „Blindflug“ zurück. Bei Tempo 130 sind es schon 72 Meter. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert deshalb, dass der Gesetzgeber klar festlegt, wann der Blick aufs Smartphone erlaubt ist, und wann er tabu sein muss. Doch der Begriff „Ablenkung“ – ob durch Telefon oder andere Dinge – fehlt als eintragungsfähige Unfallursache auf den Formularen, die von der Polizei bei der Unfallaufnahme ausgefüllt werden müssen, beklagte Dieter Müller von der Hochschule der Sächsischen Polizei in Bautzen beim DVR-Kolloquium: „Die Straßenverkehrsordnung ist nicht mehr zeitgemäß. Das Statistische Bundesamt arbeitet auf der Basis von Verzeichnissen, die 1975 aufgestellt wurden.“
Dazu passt eine Meldung aus den USA vom November. Dort stiegen Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang in der ersten Jahreshälfte 2015 um 8,1 Prozent. Nachdem in den Jahren zuvor tödliche Verkehrsunfälle immer weiter zurückgegangen waren, gibt es für diesen Anstieg auf 16 225 Verkehrsopfer eine mögliche Erklärung: der wachsende Gebrauch von Smartphones und der drastisch gesunkene Benzinpreis, der es mehr jungen Leuten erlaubt, Auto zu fahren. Und die benutzen ihr Smartphone besonders häufig. Doch es sind längst nicht nur die Autofahrer, die sich durch internetfähige Telefone ablenken lassen. Fußgänger sind mindestens ebenso stark gefährdet. Jeder Autofahrer dürfte wohl schon einmal erlebt haben, dass ein ins Telefongespräch vertiefter Passant bei Rot die Fußgängerampel überquert oder Jugendliche unmittelbar nach Schulschluss eine Nachricht in ihr Mobilgerät tippen und dabei die Welt um sich herum vergessen. (ampnet/hrr)
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