Mittwoch, 20. Januar 2021 Stellantis – ein neuer Autokonzern greift nach den Sternen
Der Vertrag, mit dem die Europäische Union das Ausscheiden der Briten aus der Gemeinschaft geregelt hat, umfasst knapp 600 Seiten. Das entspricht wahrscheinlich nur einem Kapitel in der Vereinbarung, mit der die beiden Unternehmen PSA und Fiat Chrysler ihren Zusammenschluss vereinbart haben. Immerhin 12.500 Seiten umfasst das Papier, das am Anfang des weltweit viertgrößten Automobilkonzerns steht, der jetzt als Stellantis (lateinisch: mit Sternen besetzt) an den Start geht. Wobei Quantität nicht alles ist, beeilt sich der neue Konzernlenker Carlos Tavares zu erklären: „Wir wollen ein großartiger Konzern werden und nicht unbedingt ein riesiger.“
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Mit dem Zusammenschluss von PSA und Fiat Chrysler oder der beiden Familien Peugeot und Agnelli entsteht ein Konglomerat, das 14 Marken umfasst und in 130 Ländern vertreten ist. In Deutschland gehört Opel zu den Stellantis-Marken. Insgesamt 400.000 Menschen aus 150 Nationen arbeiten für den Konzern, der sich, so Tavares, zu einem „Weltmarktführer für nachhaltige Mobilität“ entwickeln soll. Bisher wiesen die beiden Unternehmen PSA und Fiat Chrysler in ihren Modellpaletten deutliche Lücken auf, die nun geschlossen werden können. „Wir sind jetzt dank der unterschiedlichen Marken in allen Segmenten präsent“, erklärt Tavares. Langfristig soll Stellantis die Kostenstruktur um fünf Milliarden Euro verringern.
Die Führung des Konzerns mit Sitz in Amsterdam teilen sich der Agnelli-Enkel John Elkann, der dem Verwaltungsrat vorsteht, und Carlos Tavares, der als CEO das Management-Team leitet. Neun Steuerungs-Komitees werden die verschiedenen Aufgaben koordinieren. Dazu gehört auch die Übernahme der verschiedenen Plattformen, um Entwicklungszeiten zu verkürzen und Kosten zu sparen ohne die typischen Eigenschaften der einzelnen Marken zu beeinflussen. Als Beispiel für diese Vorgehensweise verweist Tavares auf die Zusammenarbeit zwischen Opel und Peugeot. „Der Opel Corsa und Peugeot 208 teilen sich zwar viele Teile, und doch es sind zwei eigenständige Modelle.“
Ein Schwerpunkt in der Modellentwicklung wird die Elektrifizierung der verschiedenen Modelle sein. „Wir werden in den kommenden Jahren den Anteil der elektrifizierten Fahrzeuge in unserem Portfolio auf 35 Prozent steigern“, blickt Tavares in die Zukunft. Bis zum Ende des Jahres wird sich die Zahl der Elektrovarianten auf 39 Stück erhöhen, und bis 2025 wird jedes neue Fahrzeug eine E-Version zur Seite gestellt bekommen. Von dieser Strategie wird vor allem Fiat profitieren.
Unternehmenszusammenschlüsse werden zumeist von einem deutlichen Arbeitsplatzabbau begleitet, den Tavares im konkreten Fall aber ausschließt. „Unser neuer Konzern ist geradezu ein Schutzschild gegen den Abbau von Arbeitsplätzen.“ Und: „Wir planen keine Fabrikschließungen.“ Die in den vergangenen Jahren freigesetzten Opel-Mitarbeiter werden dies mit Erstaunen vernehmen.
Zurzeit plant Stellantis zudem mit allen 14 Marken. „Das ist ein solides Fundament, und außerdem können nun auch Projekte, die bisher nicht verwirklicht werden konnten, neu bewertet werden. Wir lassen die Businesspläne fliegen.“ Wie sich allerdings konkret Maserati und Alfa Romeo weiterentwickeln werden, lässt sich noch nicht sagen. „Wir werden aber einen Weg finden, sie wieder profitabel zu machen“, blickt Tavares in die Zukunft. Auch Fiat verspricht der Portugiese „neue und jüngere Modelle“.
In den USA erreicht Stellantis dank Chrysler und Jeep einen Marktanteil von zwölf Prozent. Seit Jahrzehnten geistern vor allem durch die französische Presse Pläne, Peugeot wieder auf den US-amerikanischen Markt zu bringen. Auch unter dem Stellantis-Sternenhimmel wird die von Filmfigur Inspektor Columbo bevorzugte Marke nicht in die USA zurückkehren. „Wir wollen in den USA keine neue Marke einführen“, so Tavares.
Ein schwarzes Loch in der Stellantis-Welt ist der chinesische Markt, wo keines der Unternehmen erfolgreich vertreten ist. „Wir müssen lernen, was dort falsch gelaufen ist und eine neue Strategie entwickeln, um eine Lösung zu finden.“ Um dies zu erreichen hat der Chef der neuen Sternenwelt ein Team eingesetzt, um die Fehler zu analysieren und abzustellen.
Zwar plant Tavares, Stand heute, keine Fabrikschließlungen, doch hängt dies auch vom Verhalten der politisch Verantwortlichen ab. Wenn Großbritannien, Heimat der Opel-Schwestermarke Vauxhall, zum Beispiel ernst macht und von 2030 an dem Verbrennungsmotor die rote Karte zeigt, werden „wir wahrscheinlich die Elektromobile aus der EU auf die Insel exportieren“. (ampnet/ww)
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