Mittwoch, 18. September 2019 McLaren GT: Sanfte Gewalt
McLaren GT. Foto: Auto-Medienportal.Net/Matthias Knödler
McLaren, das steht eigentlich für Renntechnik und brutale Performance. Der kompromisslose Ansatz der Marke sorgt dafür, dass sich die Kundschaft nicht selten aus Aufsteigern von Porsche rekrutiert, die noch einen weiterreichenden Kick suchen.
Auch McLaren-Kunden werden allerdings älter, und diejenigen, die es etwas gelassener angehen lassen wollen, haben jetzt nun ebenfalls eine Option im Programm der Marke: Den McLaren GT, einen "Gentlemen Driver", der – wie es Produktmanager Tom Taylor formuliert – für ein „breiteres Altersspektrum ausgelegt" ist. Und das bedeutet eine größere Spreizung im Fahrwerk, dicker gepolsterte Sitze, mehr Länge und mehr Radstand.
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Dass hier trotzdem nicht gerade ein britisches S-Klasse-Coupé auf die Räder gestellt wurde, ist schon auf den ersten Blick sichtbar. Die flache, 468 cm lange Karosserie duckt sich tief auf die Straße, ist allerdings deutlich weicher und weniger aggressiv gezeichnet als seine Schwestermodelle.
Zu testen war der McLaren GT in idealem Revier: In den Seealpen an der Cote d'Azur, wo es schnelle Landstraßen und sehr griffigen Asphalt gibt. Man sitzt tief in diesem Gran Turismo, das Armaturenbrett zeigt weiche Linien, während die großen, kantigen Lufteinlässe im Rückspiegel den Blick ansaugen. Um die fummelige, unlogische Sitzverstellung zu verstehen, sollte man zuerst die Anleitung lesen – oder ein Handy-Foto erstellen. Hat man erst einmal die richtige Sitzposition gefunden, schweift der Blick aus einem ungewöhnlich großzügig verglasten Cockpit, das sich allerdings selbst in der höchsten Beschattungsstufe des fünffach einstellbaren Glasdachs stark aufheizt.
Zeit, den 620 PS starken 4,0-Liter-V8 zu starten: Der Klang des M840T-Achtzylinders ist schön im Rücken zu hören und spüren, das markante Turbinengeräusch des Doppelturbos empfinden wir als herrlich technisch. Apropos Turbo: Wird aus niedertouriger Fahrt heraus plötzlich Vollgas gegeben, dauert das Turboloch für unseren Geschmack etwas zu lange. Erst ab 2500 U/min entfaltet sich die Leistung, dann aber geradezu explosionsartig. Das Getriebe, eine Siebengang-Doppelkupplungs-Automatik, schaltet optimal durch. Die Fahrleistungen sind exorbitant: Der Spurt von 0 auf 100 km/h dauert nur 3,2 Sekunden, und erst bei 326 km/h gelangen die Fahrwiderstände zu Ausgleich.
Das Auspuffgeräusch ist perfekt abgestimmt. Zum ersten Mal setzt McLaren einen Klappenauspuff ein: So lässt sich der Wagen auch mit dezenter Geräuschkulisse fahren. Umweltbewegte Nachbarn werden es zu schätzen wissen... Gerade im Komfort-Modus lässt sich auch den Klang der Bowers & Wilkins-Musikanlage beinahe ungestört genießen. Bei starker Beschleunigung meldet sich der V8-Sound allerdings deutlich, ohne dabei übertrieben zu wirken. Beim Herunterschalten in den Schubbetrieb gestattet sich der GT je nach Fahrsituation ein authentisches Ploppen im Auspufftrakt.
Typisch für einen Gran Turismo: Auf langen wie kurzen Bodenwellen erweist sich das neue, aktive Fahrwerk selbst im „Sport"-Modus als komfortabel und hält dabei sicher den Straßenkontakt. Bei eingeschalteten elektronischen Helfern ist der Grenzbereich für normale Fahrer nicht zu erreichen. Vorher setzt der Verstand ein – mit einer genügenden Portion Respekt.
Im Vergleich mit den aktuellen Modellen von Ferrari oder Lamborghini ist der McLaren angenehm unaufdringlich zu fahren; Bodenfreiheit und vorderer Böschungswinkel sind ausreichend, so dass auch höheres Straßenbankett oder Aufpflasterungen keine Nervosität aufkommen lassen.
Die Bremsanlage könnte für unseren Geschmack übrigens zu Beginn etwas bissiger zupacken, erweist sich allerdings als leistungsstark und standfest. Sonst ist auch die Bremse nicht zu bemängeln. Das Einlenkverhalten der progressiven Lenkung ist sehr präzise, und sie ist ausreichend leichtgängig.
Die Sitze sind weich gepolstert und auch für fülligere Piloten geeignet. Dafür lassen sie es etwas an Seitenhalt vermissen. Und die Ledernähte am Armaturenbrett kommen nicht an die Perfektion eines Audi R8 oder Porsche heran, lassen sich jedoch auch wohlwollend als Reminiszenz an den Handarbeits-Charakter des McLaren GT interpretieren. Die weit vorn liegende Sitzposition vermittelt eine schöne Balance zwischen sicherem Fahrgefühl und der Leichtfüßigkeit eines Supersportwagens.
Die Briten erwarten, dass immerhin ein Drittel der Jahresproduktion auf den 198 000 Euro teuren McLaren GT entfallen werden. Dabei gibt es noch eine weitere gute Nachricht zu vermelden: Das Werk in Woking ist so gut ausgelastet, dass es sich McLaren leisten kann, auf einen SUV zu verzichten. (ampnet/mkn)
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