Das Jahr 1955 bietet Motorsport vom Feinsten: Juan Manuel Fangio wird zum zweiten Mal in Folge Formel-1-Weltmeister auf Mercedes-Benz W 196 R. Auf dem Seriensportwagen 300 SL „Gullwing“ (W 198) holt Werner Engel den Titel des Tourenwagen-Europameisters, und Paul O’Shea gewinnt die US-Sportwagen-meisterschaft der Klasse D. In der Rennsportwagen-Weltmeisterschaft ist der 300 SLR (W 196 S) der ganz große Star. Mit ihm, eng verwandt mit dem Formel-1-Rennwagen, tritt die Marke in der sechs Rennen umfassenden Serie an. Bei den ersten Wettbewerben, den 1.000 Kilometer von Buenos Aires am 22. Januar 1955 und den 12 Stunden von Sebring am 13. März 1955, entscheidet sich die Marke noch gegen eine Teilnahme und überlässt das Feld komplett der Konkurrenz, was der einen Punktevorsprung gibt. Den muss Mercedes-Benz in den verbleibenden vier Rennen aufholen. Der Debüteinsatz des 300 SLR bei der Mille Miglia in Italien am 1. Mai wird zum fulminanten Auftakt: Stirling Moss und Juan Manuel Fangio holen für die Marke den ersten Doppelsieg in der Wertung für die Rennsportwagen-Weltmeisterschaft. Das nächste WM-Rennen sind die 24 Stunden von Le Mans am 11./12. Juni. Mercedes-Benz tritt mit drei 300 SLR an. Doch als das Fahrzeug von Mercedes-Benz Fahrer Pierre Levegh unverschuldet in den bis dahin schlimmsten Unfall der Motorsportgeschichte verwickelt wird, entscheidet Rennleiter Alfred Neubauer in Absprache mit der Unternehmensleitung, aus Respekt gegenüber den Opfern die in Führung liegenden 300 SLR aus dem Rennen zu nehmen – Le Mans zahlt somit nicht aufs Mercedes-Benz Punktekonto ein. Die Konkurrenz geht erneut in Vorsprung, und die Stuttgarter haben nur noch bei den letzten beiden Rennen der Rennsportwagen-Weltmeisterschaft die Möglichkeit, den Gesamtsieg zu sichern. Denn der ist eindeutig das Ziel – mit diesem klaren Anspruch ist Mercedes-Benz angetreten. Bei der International Tourist Trophy in Dundrod, Nordirland, am 17. September 1955 erringen die 300 SLR tatsächlich die ersten drei Plätze und stocken das Punktekonto deutlich auf. Doch das genügt nicht: Ferrari liegt immer noch mit knappem Vorsprung in Führung. Der Verschärfung nicht genug. Ein absolutes Herzschlagfinale Die Targa Florio 1955 wird zum alles entscheidenden Wettbewerb. Beim Start zur 39. Auflage des italienischen Klassikers am 16. Oktober um 7 Uhr ist die Spannung mit Händen zu greifen. Die Konkurrenz, allen voran Ferrari, aber auch Jaguar, wird sich nicht einfach geschlagen geben. Die Mercedes-Benz Mannschaft ist bis zum letzten Mitarbeiter motiviert. Die Vorbereitungen für das „Alles-oder-nichts-Rennen“ um den Sieg bei der Targa Florio versuchen alle Eventualitäten zu berücksichtigen. Am Rennen nehmen drei 300 SLR-Teams teil.
Moss legt vom Start weg ein atemberaubendes Tempo vor, indem er dem zweitplatzierten Eugenio Castellotti auf Ferrari über 1 Minute abnimmt und die bis dahin bestehenden Bestzeiten marginalisiert – den Gesamtdurchschnitt des Vorjahressiegers Piero Taruffis von 89,929 km/h ebenso wie den von Castellotti 1954 auf Lancia erzielten Rundenrekord von 93,116 km/h.
Die firmeninterne Diskussion über eine weitere Rennteilnahme von Mercedes-Benz begleitet im Hintergrund das Jahr 1955 bereits von Beginn an – und damit schon Monate vor dem Sportwagenrennen in Le Mans. Überlegungen im April 1955, die damals auch in der Fachpresse aufgegriffen werden, sehen vor, dass die Marke in der Rennsaison 1956 weiterhin mit Rennsportwagen antritt, wenn auch nicht mehr in der Formel 1. Dann wäre auch die Coupé-Version des 300 SLR, das sogenannte „Uhlenhaut-Coupé“, zum Einsatz gekommen, die 1955 an keinem Rennen teilnimmt.
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