Montag, 6. August 2007 Mercedes-Benz 300 SLR: 2 Plätze und ein Grand-Prix-Motor
Mit Luftbremse: Per Hebel konnte der Fahrer des Mercedes-Benz 300 SLR (W 196 S) eine Klappe in den Fahrtwind stellen, um die Verzögerung zu verbessern.
Man hat den 300 SLR schon für die 24 Stunden von Le Mans 1954 gemeldet, dann jedoch kurzfristig zurückgezogen. Erst im September absolviert ein Prototyp im Park von Monza erste Testrunden, mit 860 Kilogramm Trockengewicht einschliesslich zweier Reserveräder im Gepäckabteil. Gut Ding will Weile haben, und ein Premium-Produkt ist der silberne Renn-Roadster wirklich, robust wie ein Panzer, aber agil wie eine Dschungelkatze, wie es der wortgewandte 300 SLR-Pilot John Fitch in seinem autobiographischen Buch "Racing with Mercedes" auf den Punkt bringt.
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Bereits seine interne Bezeichnung W 196 S verweist auf die nahe Verwandtschaft zum zeitgenössischen Grand-Prix-Silberpfeil, der in der Tat überall Pate steht. Bei seinem Motor, mit zwei Millimeter mehr Bohrung und 9,2 Millimeter mehr Hub auf 2982 Kubikzentimeter Volumen gebracht, handelt es sich um die höchste Ausbaustufe von dessen Reihenachtzylinder, 296 PS bei 7400/min stark. Empfohlene Drehzahl, Leistung und Tankvolumen wechseln je nach Charakter des anstehenden Rennens zwischen Sprint (wie beim Eifelrennen auf dem Nürburgring über 228,1 Kilometer) und Marathon (wie in Le Mans). Nach Art der Väter 40 Jahre zuvor sind Kopf und Zylinder eine Einheit, die beiden Vierer-Blöcke (jeder wiegt 17,5 Kilogramm) bestehen indessen aus Silumin statt Stahl wie noch der Motor des W 196 R. Mit einem Einbaugewicht von 235 Kilogramm wartet dieses Aggregat mit erstaunlicher Standfestigkeit auf. Eines wird auf dem Dynamometer bei Renndrehzahlen über 9800 Kilometer und 32 weitere Stunden getestet. Nur die Ölringe tauscht man nach 5954 Kilometern aus. Im Winkel von 57 Grad nach rechts geneigt, ruht es noch vier Grad tiefer im Chassis des SLR, das gleichwohl im Hinblick auf die zum Zyklus zählenden strapaziösen Strassenkurse erheblich mehr Bodenfreiheit wahrt als der Einsitzer. Gespeist wird es mit einer Mischung aus 75 Prozent Tankstellentreibstoff, 15 Prozent Methylalkohol und zehn Prozent Benzol. Fast unangetastet, wenn auch auf die besonderen Gegebenheiten beispielsweise der beiden italienischen Läufe zugeschnitten, wird die Radaufhängung des W 196 R übernommen, mit doppelten Querlenkern vorn und einer Schwingachse hinten. Der Gitterrohrrahmen des Sportwagens, 60 Kilogramm leicht, ist eher dem 300 SL von 1952 entlehnt, ein üppiges Fachwerk von Röhren mit einem Durchmesser von 25 Millimeter bei einem Millimeter Wandstärke vor allem im Bereich der tief angesiedelten Flanken und stärkeren Verstrebungen im Umfeld der Aufhängung. Es muss schließlich Raum für zwei Personen bieten. Im Übrigen werden der zuständige Ingenieur Ludwig Kraus und sein Team durch die Vorgaben im Anhang J der FIA-Regularien in die Pflicht genommen, welche nach zwei Türen verlangen und die Masse des Passagierraums abstecken. Dennoch sitzt der Fahrer wie im Rennwagen mit gespreizten Beinen über dem Kupplungstunnel. Das abnehmbare Lenkrad des 300 SLR ist links angesiedelt, im Unterschied zu seinen Widersachern von Jaguar oder Ferrari, obwohl diese damit eigentlich besser für die europäischen Kurse gerüstet sind, die im Uhrzeigersinn gefahren werden. In Le Mans machen die silbernen Zweisitzer später zunächst Furore mit unkonventionellen Bremshilfen. Zum einen lässt sich mit Hilfe von vier Knöpfen ein Schuss Öl in die jeweilige Bremstrommel sprühen, wenn ein Rad blockiert, was damals bei Fahrzeugen aller Marken verhältnismässig oft passiert. Zum anderen reckt sich, vom Fahrer per Hand aktiviert, bei Bedarf am Fahrzeugheck eine zusätzliche Luftbremse in den Fahrtwind. Die Wirkung ist beachtlich: Er sei wie von einem Gummiseil zurückgehalten worden, erinnert sich John Fitch. An das Siegel 300 SLR knüpfen sich Glanz und Elend des Jahres 1955: der Glanz von Moss' Mille-Miglia-Triumph sowie die Siege bei der Tourist Trophy und der Targa Florio. Auf der anderen Seite steht das Elend von Le Mans, wo bei einem fremdverschuldeten Unfall Mercedes-Fahrer Pierre Levegh (alias Pierre Bouillon) und mehr als 80 Zuschauer das Leben verlieren. Die Tragödie bestärkt Daimler-Benz in dem schon vorher gefassten Entschluss, sich mit dem Ende der Saison 1955 aus dem grossen Rennsport zurückzuziehen - für Jahrzehnte, wie sich zeigen wird.
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