Dienstag, 30. September 2008 GP von Argentinien 1955: Hitzeschlacht von Buenos Aires
GP Argentinien, Hitze-Hölle: Beim Grand Prix von Argentinien am 16. Januar 1955 hält Stirling Moss erschöpft an.
36 Grad Celsius zeigt das Thermometer im Schatten, als die Fahrzeuge zum ersten Formel-1-Rennen der Saison 1955 starten, auf der Strecke ist die Luft mehr als 50 Grad Celsius heiss. Die Bedingungen während des Grossen Preises von Argentinien am 16. Januar 1955 in Buenos Aires sind alles andere als ideal, klagt Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer: "Da brütet eine Hitzeglut über Buenos Aires, dass der Asphalt Blasen wirft und wir auf dem Metall unserer Silberpfeile Spiegeleier backen könnten."
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Drei Stunden und zwei Minuten dauert das Rennen - eine Tortur, die nur zwei Fahrer aushalten werden, ohne sich während der 96 Runden mit ihren Teamkameraden abzuwechseln. Beide sind Argentinier, und einer fährt für Mercedes: Juan Manuel Fangio, der Weltmeister von 1951 und 1954. Fangio gewinnt das Rennen, sein Landsmann Roberto Mières (Maserati) verzichtet ebenfalls auf einen Wechsel und kommt auf Platz fünf. Den Sieg Fangios nennt Rennleiter Alfred Neubauer später "eine der grössten Leistungen seiner Laufbahn". Denn nicht nur die Hitze der Sonne macht Fangio zu schaffen. Der Auspuff überträgt seine Glut auf eines der Rohre des leichten Rahmens, auf dem der Silberpfeil vom Typ W 196 R aufgebaut ist. Dieses Rohr drückt an Fangios Bein, verbrennt die Haut, die Schmerzen nehmen mit jeder Runde zu. Der Weltmeister stellt sich eine bitterkalte Schneelandschaft vor, um die Hitze auf der Piste des Motodroms zu vergessen, und fährt weiter. Auf die Mischung aus glühendem Pampa - Wind und brennender Sonne hat sich Fangio bereits in den Wochen vor dem Rennen vorbereitet, indem er den Verzicht auf Wasser bei grosser Hitze übte. Kamel-Taktik nennen seine Teamkameraden diesen Kniff spöttisch. Doch in einer Ära, die keine Trinkflaschen im Cockpit kennt, erweist sich die Selbstkasteiung als gute Vorbereitung. Ausserdem spielt El Chueco (der Krummbeinige, wie die argentinischen Fans den Weltmeister wegen seines Körperbaus nennen) während der europäischen Winterpause am Strand Argentiniens Fussball, um sich fit zu halten. So ist Fangio auf das extreme Wetter des Januars vorbereitet. Für die Gäste aus Deutschland, Italien und England dagegen kommt der Wechsel aus der kalten Heimat in das heisse südamerikanische Klima wie ein Schock. Neubauers Resümee des Grossen Preises von Argentinien liest sich wie eine Reportage: "Das Rennen wird zu einer Qual für die Fahrer und die Wagen. Sie kippen um wie die Fliegen, und die Motoren werden serienweise sauer. Gonzales macht schlapp. Farina kann nicht mehr. Castellotti hängt mit Hitzschlag über dem Steuer. Hans Herrmann klappt erschöpft zusammen. Harry Schell hat ’nen Sonnenstich. Trintignant torkelt erschöpft in die Box. Roberto Mieres japst nach Luft. Nach achtundzwanzig Runden führt noch immer Fangio." Und die Führung gibt der Argentinier vor einem Publikum aus rund 400'000 rennbegeisterten Zuschauern auch nicht mehr her. Zwar ist ihm Stirling Moss auf den Fersen, jener junge Engländer, der neu in das Rennteam der Daimler-Benz AG gestossen ist. Doch als der Brite nach einer Panne völlig erschöpft eine Pause am Rand der Strecke einlegen will, wird ihm eine Sprachbarriere zum Verhängnis: Die Helfer des argentinischen Rettungsdienstes halten Moss für ein weiteres Opfer der Hitze und transportieren den laut fluchenden Briten mit Verdacht auf einen schweren Sonnenstich in die Klinik. Erst ein englisch sprechender Arzt lässt sich überzeugen und erlaubt es, Stirling Moss mit Blaulicht und Sirene zurück auf die Rennstrecke zu bringen. Dort wird der Engländer vom Rennleiter auf rustikale Weise gegen die Witterung behandelt: Neubauer kippt einige Eimer kalten Wassers über seinem Fahrer aus und schickt ihn mit einem Wagen ins Rennen, den zuvor schon Hans Herrmann und Karl Kling gefahren haben. Moss kommt mit zwei Runden Abstand auf Fangio ins Ziel und teilt sich mit Herrmann und Kling den vierten Platz.
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