"Heute möchte ich Ihnen etwas über die Strecke erzählen, die Schauplatz des schnellsten 24-Stunden-Rennens der Welt ist – eine Strecke, deren Verlauf sich seit 1923 zwar immer wieder mit neuen Elementen verändert hat, die aber in der Streckenlänge und ihrer ganzen Faszination immer gleich geblieben ist. Nur einmal im Jahr wird hier ein Rennen ausgetragen, auch Testfahrten sind dort nicht möglich, denn ein Teil des Kurses führt über sonst öffentliche Landstraßen. Den größten Einschnitt gab es sicherlich durch die beiden Schikanen auf der Hunaudières-Geraden. Ohne die Schikanen wurden früher Spitzengeschwindigkeiten von über 400 km/h erreicht, wovor ich großen Respekt habe. Heute liegen sie ‚nur noch’ bei fast 340 km/h – und trotzdem fahren wir auf der 13,629 Kilometer langen Strecke inzwischen schnellere Rundenzeiten. Das zeigt, wie sehr sich die Technik in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt hat. Jeder Teil der Strecke hat seinen ganz eigenen Charakter. Das fängt schon mit der Dunlop-Schikane an, die man aus etwa 300 km/h anbremst und wo man links und rechts über die Randsteine fährt. Am Ausgang von Tertre Rouge ist es wichtig, viel Speed für den ersten Teil der Hunaudières-Geraden mitzunehmen. Beim 300-Meter-Schild fängt man an, sich auf die Schikane zu konzentrieren. Mit dem R15 TDI bremse ich aber erst etwa 170 Meter vor der Schikane. Man kommt mit mehr als 340 km/h angeflogen und bremst im ersten Moment extrem hart. Dabei werden fast 3 g erreicht, was sehr anstrengend ist. Wegen der Spurrillen muss man dann die Bremskraft beim Einlenken perfekt kontrollieren, weil sonst die Fronträder blockieren können. Die zweite Schikane ist etwas schneller und gegenüber der ersten Schikane spiegelverkehrt. Am Ende der Hunaudières erreicht man noch einmal fast Höchstgeschwindigkeit, auch wenn wir nicht ganz so schnell sind wie vor der ersten Schikane, dem schnellsten Punkt der Strecke. Die berühmte Kuppe am Ende der Geraden wurde vor einigen Jahren fast vollständig abgetragen. Trotzdem ist Mulsanne eine Stelle, die jeder Le-Mans-Fan vor allem nachts einmal besucht haben sollte. In Mulsanne kann man auf beiden Seiten die flachen Randsteine benutzen.
Kurz vor Indianapolis sind wir nur minimal langsamer als vor der ersten Schikane.
In der leicht überhöhten Rechtskurve von Indianapolis 2 darf man keinen Fehler machen.
Anschließend beschleunigt man kurz, ehe die langsamste Kurve der Strecke kommt: Arnage.
Anschließend folgt ein landschaftlich sehr schöner, fast romantischer Streckenabschnitt, ehe man in die Porsche-Kurven hineinsticht.
In den Porsche-Kurven und der folgenden Maison Blanche fühlt man sich fast wie in einem Tunnel. Man fährt fast immer über 240 km/h, und das praktisch blind.
Vor der letzten Schikane gibt es noch einen kleinen Rechts-links-Knick, den man voll fährt, der im Verkehr aber sehr herausfordernd sein kann.
Wenn man nachts fährt, ist man von dem vielen Licht bei Start und Ziel etwas irritiert. Das ist hart für die Augen. Auch wenn man anschließend nach der Dunlop-Schikane wieder auf den dunklen Teil der Strecke kommt, ist es sehr anstrengend für die Augen. So weit eine Runde in Le Mans. Eine Sache möchte ich aber noch erwähnen, und das sind die vielen Streckenposten, die in Le Mans arbeiten. Sie kommen nicht nur aus Frankreich, sondern von überall her und machen einen fantastischen Job. Sie sind sehr professionell und versuchen, so wenig es geht in das Renngeschehen einzugreifen. Alle Fahrer in Le Mans wissen die Arbeit der Streckenposten sehr zu schätzen. Es gibt auch eine Truppe dänischer Streckenposten, ich weiß aber nicht, wo genau sie auf der Hunaudières-Geraden tätig sind. Vielleicht kommen sie mich während der Le-Mans-Woche ja mal im Fahrerlager besuchen. Ich würde mich freuen." Ihr Tom Kristensen
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