Als gäbe es keine Verbrauchsdebatte und kein Downsizing, keine CO2-Vorschriften und keine endlichen Ölvorräte – hier wird aus dem Vollen geschöpft. Mit Realitätsverweigerung hat das nichts zu tun, das muss einfach so sein. Der V8 gehört zur Corvette wie der Colt zu John Wayne und Laurel zu Hardy. Der Motor ist so gewaltig wie unkompliziert: Zweiventil-Technik, kein Turbo, keine Direkteinspritzung, kein Schnickschnack, ein Sauger mit 512 ehrlichen PS.
Die weiteren Eckdaten unseres in der Cabrio-Version gefahrenen Testwagens: 637 Newtonmeter Drehmoment bei 4800 Umdrehungen, Spurt von Null auf Hundert in 4,2 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 307 km/h. Die reichliche Verwendung von Kohlefaser-Verbundwerkstoff, zum Beispiel bei der Motorhaube, drückt Leistungsgewicht auf 3,1 Kilogramm je PS. Zum Vergleich: Der noch um 25 PS stärkere Mercedes SL 63 AMG liegt bei knapp 3,5 kg/PS. Das Modell 427 ist ausschließlich mit manuellem Sechs-Gang-Getriebe erhältlich.
In jeder Generation war und ist die Corvette ein faszinierender Sportwagen, hinreißende Optik, kraftvoller Motor und – zumindest hierzulande – von anhaltender Exklusivität: Zwischen Januar und Ende Juli wurde zwischen Flensburg und Garmisch gerade mal 47 Exemplare neu zugelassen. Selbst einen Ferrari 458 trifft man fünf Mal häufiger.
Zwar bietet die Corvette schon länger als andere Kunststoff-Karosserie, Transaxle-Antrieb oder Head-Up-Display, aber die Fans in aller Welt sammelte sie nicht mit technischen Kabinett-Stückchen. Es ist der Charme des Urtümlichen, in manchen Fällen auch den Überkommenen, wie der Testwagen an einigen Details offenbarte. Die Vette des Jahrgangs 2013 zeigt auch, an welchen Stellen in der nächsten Generation nachgelegt werden sollte, will man im Vergleich mit den Super-Sportwagen anderer Hersteller nicht ins Hintertreffen geraten.
Für ein Cabrio gelten in dieser Hinsicht noch andere Anforderungen als für Coupés. Das Stoffdach soll auf Knopfdruck zügig öffnen und schließen, möglichst bis zu einem Fahrtempo von 40 oder 50 km/h. Nicht mehr zeitgemäß ist deshalb, was bislang vom Fahrer der Corvette verlangt wird. Drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, sonst bewegt sich die Segeltuchhaube keinen Millimeter: Stillstand des Fahrzeugs, angezogene Handbremse und manuelle Entriegelung des Daches mit dem Knebel oberhalb des Innenspiegels. Ist das alles erledigt, verschwindet das Dach elektrisch binnen 16 Sekunden hinter den Sitzen, bzw. ist nach 18 Sekunden wieder zurück in Position, wo der Fahrer den Sicherungshaken einrasten lassen kann. Das sollte beim nächsten Corvette-Cabrio einfacher zu handhaben sein.
Niemand wird ernsthaft bestreiten wollen, dass eine Corvette ein wirklich heißes Gefährt ist. Das kann man sogar mit dem Thermometer messen. Auch ohne hochsommerliche Temperaturen heizen sich unterwegs Bereiche erheblich auf, wo man es gar nicht vermutet. Schon nach einer kurzen Strecke konnte man beim Testwagen an der Teppichverkleidung des Mitteltunnels 54 Grad Celsius messen, in der Ablagebox zwischen den Sitzen mehr als 40 Grad, die gleiche Größenordnung wurde am Boden des Gepäckabteils angetroffen. Also bitte keine leicht verderbliche Ware dort transportieren. Bauartbedingt liegt übrigens der Zugang zum Gepäckfach oberhalb von 93 Zentimetern, dafür ist die Ladeluke aber 1,43 Meter breit und entsprechend aufnahmewillig. 295 Liter Volumen stehen maximal zur Verfügung. Erschütternd gering ist die erlaubte Zuladung. Zwei schwere Jungs können die Fahrt an den Rand der Illegalität bringen.
Zu Recht schwärmen Autofahrer vom unvergleichlichen Sound eines V8, der egal in welchem Fabrikat großen Anteil an der Emotionalität des Fahrerlebnisses hat. An Klangfülle mangelt es natürlich auch der Corvette nicht, schade nur, dass man sie dafür hochtourig fahren muss. Was noch für den Ami-Schlitten spricht, ist der Preis. 100 000 Euro sind zwar viel Geld, aber was sonst auf dem 500-PS-Plus-Sektor angeboten wird, ist dafür bei Weitem nicht zu haben. ampnet
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