Als die Millionenabfindung für den damaligen Chrysler-Chef Tom LaSorda bekannt wurde, regte sich Protest. Die Belohnung für sein angebliches Verhandlungsgeschick beim Verkauf von Chrysler an Cerberus sei vor allem deshalb bezahlt worden, weil LaSorda die Trennung so schnell über die Bühne gebracht habe. Der Verkauf – wenige Tage vorm Aufbrechen der Immobilienkrise in den USA – war tatsächlich zu einem Zeitpunkt unterschrieben worden, als die Zeiten noch deutlich besser waren. Trotzdem muss sich Dieter Zetsche fragen lassen, warum er nicht das ganze Paket zu 100 Prozent an Cerberus verkauft hat. Wie aus Insiderkreisen zu hören ist, habe Zetsche das zwar versucht, aber Cerberus wollte nur rund 80 Prozent übernehmen. Nach dieser Version hatte Zetsche keine andere Wahl, als darauf einzugehen und wenigstens den grössten Brocken loszuwerden. Mit anderen Worten: Der Daimler-Chef hätte zwar gern den endgültigen Schlussstrich gezogen, aber Cerberus war nicht bereit dazu. Die Strategie der Investorengruppe scheint es gewesen und immer noch zu sein, einen finanzstarken Partner an der Seite zu behalten, den man finanziell immer weiter und immer wieder belasten kann. Cerberus ist jetzt psychologisch am längeren Hebel. Weil Daimler auch den Rest an Chrysler unbedingt und fast um jeden Preis loswerden muss, wenn man die Bilanz nicht auf Jahre hinaus von Chrysler belastet wissen will, kann sich Cerberus zunächst taub und exorbitante Forderungen stellen. Zuletzt brachte Cerberus einen Milliarden-Betrag ins Gespräch, den Daimler für die Übernahme des Restanteils zahlen soll. Der Käufer des Chrysler-Anteils will sich den Kauf also vom Verkäufer um ein Mehrfaches des Wertes finanzieren lassen. Das ist schon absurd. Aber Daimler hat eigentlich keine andere Wahl, als darauf einzugehen. Die Daimler-Strategen wissen, dass Chrysler auf dem US-Markt wahrscheinlich keine lange Zukunft haben dürfte und in absehbarer Zeit unter den Schutzschirm von Chapter Eleven flüchten wird. 20 Prozent an einem Pleiteunternehmen bedeuten für den Besitzer auch eine 20-prozentige Beteiligung an der Pleite. Das heisst, dass für Daimler auf Jahre hinaus hohe Belastungen aus dem Chrysler-Anteil erwachsen würden. Dieter Zetsche hat also keine Alternative, um diese Belastungen auf null zu bringen, als den Verkauf des Rests. Aber wer sollte ihn kaufen? – Ein anderer Investor als Cerberus kommt mangels Interesse nicht infrage. Das ursprüngliche Interesse von General Motors an Chrysler ist der Ernüchterung gewichen, dass GM selbst froh wäre, allein zu überleben. Die Überlegungen bei GM zum Verkauf von Marken wie Saturn, Hummer und Saab machen ein Interesse an einer Marke wie Chrysler höchst unwahrscheinlich. Dieter Zetsche steckt in einer fatalen Zwickmühle. Der endgültige Schlussstrich unter dem Chrysler-Desaster ist gleichermassen unausweichlich wie teuer. Aber er muss irgendwie, aber nicht irgendwann gezogen werden. Daimler muss sich auf die wertvollste Marke konzentrieren: Mercedes-Benz, will das Unternehmen nicht selbst grosse Risiken eingehen. Es ist eine Tragödie, welche Folgen die "Hochzeit im Himmel" für die Marke mit dem Stern bereits gezeitigt hat. Soll sie nicht weiter beschädigt und in ihrer finanziellen Substanz geschwächt werden, ist die radikale Trennung von Chrysler unausweichlich. Dieter Zetsche ist zurzeit nicht zu beneiden. Optimistisch stimmt aber auch die Erinnerung daran, dass ein Ruck durchs Unternehmen ging, als Zetsche die Trennung von Chrysler verkündete. Dass es ein Abschied ohne Trennung werden würde, war da ja noch nicht abzusehen. Erst wenn der endgültige Schussstrich gezogen ist, wird sich die Daimler-Bilanz wieder glänzend präsentieren können. Deshalb muss er gezogen werden. Um jeden Preis. (ar/Hans-U. Wiersch)
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