So haben die Briten unter totaler Abschirmung in aufwändigen Tests prüfen lassen, welches Erfolgspotential im Volkswagen Käfer steckt. Das Urteil: Man könne nicht empfehlen, „dieses Fahrzeug als Beispiel für erstklassige, moderne Konstruktionsverfahren zu betrachten, die von der britischen Industrie kopiert werden sollten“. Und ferner: „Angesichts des allgemeinen Erscheinungsbilds sind wir der Auffassung, dass die Konstruktion keine besondere Brillanz aufweist.“
Zu dieser Einschätzung kam 1947 ein spezieller Geheimdienst Ihrer Majestät, das „British Intelligence Objektives Sub-Committee“ (BIOS), unter dessen Führung die Studie entstanden ist und deren Ergebnis einer Regierungs-Kommission mitgeteilt wurde. Einer breiten Öffentlichkeit Deutschlands hingegen dürfte unbekannt sein, dass das Vereinigte Königreich Mitte der 40er-Jahre des letzten Jahrhunderts mit dem Gedanken spielte, sich das Volkswagenwerk einzuverleiben. In Fachkreisen bekannt wurde diese Absicht etwa ein halbes Jahrhundert später, als der lange geheimgehaltene BIOS-Bericht als Buch (Heel-Verlag, 1999) auf Deutsch veröffentlicht wurde.
Vor dem vernichtenden Urteil hatten Experten zwei Varianten des Käfers bis auf die letzte Schraube zerlegt: Eine Limousine Baujahr 1946 und einen auf dem Afrika-Feldzug der Deutschen von den englischen Truppen erbeuteten technisch baugleichen Kübelwagen der Wehrmacht. Monatelang wurde jedes Detail unter die Lupe genommen. Weil die staatlichen Schlapphüte aber selbst keinerlei Kompetenz besaßen, ein fachmännisches Urteil über die Konstruktion des feindlich-deutschen Autos abzugeben, wurde der einheimische Verband der Autohersteller und Händler (Society of Motor Manufactures and Traders) mit der Expertise beauftragt. Beteiligt waren damals die A.C. Cars Ltd. (für allgemeine Beurteilung), die britische Ford-Tochter (für Gesamtkonstruktion), die Humber Ltd. (für Konstruktion und Produktion), die Singer Motors Ltd. (für Fahrtests) sowie die Solex Ltd.
Für die Untersuchung gab es zwei Fragen: Kann die britische Autoindustrie von den Deutschen etwas lernen? Und macht es womöglich Sinn, das Werk technisch auszuweiden und die Gerätschaften auf das Inselkönigreich in der Nordsee zu verfrachten? Denn die Briten, unter deren Nachkriegsverwaltung mit ganz Nordwestdeutschland auch der Großraum Wolfsburg stand, hatten nach dem gewonnenen Krieg das Recht, den Käfer und das ganze Werk mit allen Patenten und Produktionsverfahren als Kriegsbeute zu beschlagnahmen und zum eigenen Nutzen zu verwenden. Etwa als Vorleistung auf spätere Reparationszahlungen der Deutschen.
Das war aber nur die mögliche politische Dimension des Vorgangs. Es gab auch eine andere, über die sich die Militärregierung sehr schnell im Klaren war: Die britische Autoindustrie würde klammheimlich Beifall klatschen, wenn im Deckmantel eines offiziellen Regierungsbeschlusses zur Demontage ein möglicher Konkurrent auf diese Weise ausgeschaltet würde. Denn dann wäre VW ja kein ausländischer Konkurrent mehr, der in späteren Friedenszeiten Autos nach England exportieren und heimischen Herstellern Marktanteile wegnehmen würde, sondern ein Inlandswettbewerber, mit dem sich anders umgehen ließe. Oder, eine andere Variante, der Käfer landet dann im Modellprogramm eines etablierten englischen Herstellers – und Volkswagen würde es nicht mehr geben.
Zwar bestand die Demontagegefahr des Werkes tatsächlich noch einige Zeit, doch eher theoretisch. Denn die Briten suchten damals angesichts ihrer im Kriegseinsatz stark ramponierten Militärfahrzeuge nach Ersatz. Da lag es nahe, die wenngleich durch Bombenschäden noch eingeschränkten Produktionsmöglichkeiten des VW-Werks zu nutzen und auf diese Weise den hohen Bedarf an Fahrzeugen zu decken. So wurde das Management des VW-Werks von den Engländern mit großem Weitblick auf die Wettbewerbslage und auch mit Rücksicht auf akute eigene Bedürfnisse bereits 1945 mit dem Bau von 20 000 Limousinen beauftragt. (ampnet/hk)
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