Freitag, 24. Juli 2020 Volkswagen ID 3: Hat hier noch jemand Zweifel?
Volkswagen ID 3. Foto: Auto-Medienportal.Net/Volkswagen
Spannende Zeiten für Volkswagen. Am Volkswagen ID 3, dem ersten Elektroauto des Konzerns hängt so viel mehr als sonst an einem neuen Modell im Programm: Ist dieser Wandel beim ersten Mal zu schaffen. Trägt die Strategie, so viel wie möglich auf Elektro umzustellen? Ist die Marke stark genug, um genug Kunden in die neue Ära mitnehmen zu können. Kurz. Trägt die Elektro-Strategie den Konzern wirklich für die Zukunft? Und zu guter Letzt die Frage auch vor dem Hintergrund des Dieselskandals: Macht der Kunde das mit?
Der Volkswagen ID 3 stellt diese existenziellen Fragen den Interessenten bald in den Showrooms der Händler. Gestern, bei unseren ersten Fahrten mit dem Wolfsburger Stromern, brach sich beim Management so langsam Erleichterung Bahn. Am Tag zuvor, dem ersten, an dem ein ID 3 bestellt werden konnte, waren in Deutschland schon 800 Verträge unterschrieben, in den Niederlanden, wo der Verkauf schon ein paar Tage vorher begonnen hatte, schon rund 3000.
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Neue Kunden von anderen Marken interessieren sich mehr für den ID 3 als es sonst bei Modellwechseln üblich ist. Und jünger sind sie auch noch.
Schließlich sieht er auch jünger aus. Der elegant runden Form traut man einen viel bessere Luftwiderstandsbeiwert als den von 0,27 zu. So windschlüpfig präsentiert er sich nach seiner kurzen in sanftem Rund ansteigenden Schnauze mit dem freundlichen Zwei-Augen-Gesicht mit LED-Scheinwerfern vor der flach stehenden Windschutzscheibe. Bis zum steilen Heck gleitet der Blick über das Auto ebenso widerstandslos wie die Luft: ein angenehmer Zeitgenosse, der mehr über seine meist extravagant gestalteten Räder als über seine Karosse zeigt, dass er nicht in die Kategorie glattgeleckter Allerweltsautos gehören will. Als modern und richtungweisend will er beschrieben sein.
Erst innen fällt einem auf, dass der ID 3 eigentlich ein Van ist. Weil vorn kein Platz für Motor und Getriebe benötigt wird, kann die Motorhaube in sanftem Schwung zur früh beginnenden und flach stehenden Windschutzscheibe hin ansteigen. Hat der Fahrer seinen Platz eingenommen, blickt er, wie bei Vans, auf eine weit vor ihm liegende Windschutzscheibe und durch die bei vielen Vans üblichen Dreieckscheibe, die weit vorn liegenden schlanken A-Säulen und eine geschickt mit Materialmix und Lichteffekten gegliederten Abdeckung der Armaturentafel-Landschaft vor der Scheibe.
Die Tafel trägt zwei Display: eines freischwebend oberhalb der Speichen des Lenkrads im Blickfeld des Fahrers und ein zweites für die Fahrzeugbedienung in der Mitte der Konsole als stehender Bildschirm. Über das Lenkrad hinweg blickt der Fahrer auf ein großzügiges Headup-Display und später – wenn die Elektronik fertig erprobt ist – auf Symbole, die auf die scheinbar auf die Fahrbahn projiziert werden (augumented Reallity). Tasten unter dem Mittelbildschirm und am Multifunktionslenkrad erleichtern das Steuern der vielen Einstellungen für Technik, Ambiente und Infotainment. Doch gewinnen wir bei der Betrachtung der Möglichkeiten den Eindruck, die Entwickler haben die allzu große Komplexität vermieden, die wir bei anderen Neuheiten schon bewältigen mussten.
Zwischen den Achsen bleibt ausreichend Raum für vier bis fünf Passagiere. Die ID 3-Mannen qualifizierten ihn als „eine Klasse größer“ und liebäugelten dabei mit einem Passatvergleich. Auch, wenn das übertrieben ist, so bleibt bei dem Radstand von 2,77 Metern viel Raum, sogar fürs Gepäck, denn die Batterie liegt sicher in einem crashgeschützten Kasten unter dem Wagenboden.
In einer Beziehung ist der jüngste aller Volkswagen aber ein Rückgriff auf die Vergangenheit. Käferfahrer werden sich erinnern, wie sie im Winter an den anderen vorbei durch den Schnee pflügen konnten – wegen des Antriebs der belasteten Achse. Und so hat nun diese Erste Generation von echten Stromern aus Wolfsburg nach 46 Jahren wieder Heckantrieb. Das bringt nicht nur wegen des Winters Vorzüge. Bei dem Drehmoment der Elektromotoren sind durchaus auch gewollte Rutscher drin: Fahrvergnügen aus WOB. Der für später angekündigte Allradantrieb wird daran hoffentlich nichts ändern.
Aber auch der anderen Seite des ID 3 lassen sich viele unterhaltende Elemente für langweilige Langstrecken abgewinnen, weil seine Kamera und die Navigations-Karthographie stets wissen, wo sich der Wagen befindet, können sie ihn auch Mores lehren. Allerdings bremsen die Systeme am Ortschild nicht vorwurfsvoll kräftig ab. Sie kündigen die 50 km/h erst an und reduzieren die Geschwindigkeit sanft, lassen den ID 3 segeln, wo es geht, bevor sie bremsen.
Jedenfalls zeigt nun auch der ID 3, dass das Gerede von der deutschen Industrie, die die Moderne verschlafen habe, spätestens nun nicht mehr zutrifft. Wenn der Kunde bereit ist, können sie auch Elektroauto und bestimmt auch den nächsten Technologiewandel. Im Übrigen: Das kennt man doch von Volkswagen: Sie kommen immer spät, aber gewaltig. (ampnet/Sm)
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