Erst der Helm, dann hilft Munari seinem Passagier, in dem engen Cockpit mit dem Vier-Punkt-Gurt klarzukommen, steigt selbst ein – ohne Helm – und lässt schon einmal den Vierzylinder an. Kein Aufheulen, nur verhaltenes Knurren erklingt, als er in den Farben der italienischen Luftlinie Alitalia spektakulär lackierten flachen Karosserie durch die Masse der großen Karossen aus dem Stadtzentrum wühlte bis auf eine kurvige schmale Straße hoch in die erste Kette der Berge.
Von einem Rallye-Weltmeister hatte sein Beifahrer anderes erwartet. Er sprach den unerwartet Sanften darauf auf. Munari zeigte in der nächsten Linkskurve nach unten. Am Fuß des Berges stand ein Polizeiwagen, daneben ein Flic, der den Stratos mit dem Fernglas im Blick hielt. „They are waiting“, lachte Munari, der sich also offenbar keine teure Blöße geben wollte. Doch nach der nächsten Kurve ging es los, so quer, wie die Breite der Straße es zuließ und ohne erkennbare Sorge vor dem Gegenverkehr. Rallye-Weltmeister eben – das wurde überdeutlich, dank Munari, Mittelmotor und Heckantrieb.
Vor exakt 50 Jahren hatte Munari mit seinem Beifahrer Mario Mannucci die Tour de France Automobile 1973 gewonnen, damals mit über 1500 Kilometern Wertungsprüfungen eine der anspruchsvollsten Asphaltrallyes Europas. Im Anschluss an diesen ersten internationalen Sieg setzte das Werksteam den Lancia Stratos in der Weltmeisterschaft ein, wo er in den Jahren 1974 bis 1976 dreimal in Folge den Titel gewann. In Deutschland sorgte der Lancia Stratos in der Saison 1978 für Furore: Der spätere Weltmeister Walter Röhrl gewann Läufe zur Deutschen Meisterschaft.
„Ein kompromissloses und hocheffizientes Fahrzeug mit Designelementen, die uns bei der Gestaltung zukünftiger Fahrzeugmodelle von Lancia als Inspiration dienten“, streicht Luca Napolitano, CEO der Marke Lancia, die Bedeutung des Lancia Stratos heraus. Der 50. Jahrestag des ersten Siegs wurde jetzt auf der historischen Rennstrecke „Circuit de Remparts“ im westfranzösischen Angoulême gefeiert.
Der Lancia Stratos gilt als erstes Fahrzeug in der Historie des Rallyesports, das nicht auf einem Großserienmodell basierte. Es war für den einzigen Zweck konstruiert worden: Rallyes gewinnen. Alles am Stratos ist auf den Rallyesport ausgerichtet: die keilförmige Karosserie mit den breit ausgestellten Kotflügeln und der großen Windschutzscheibe, die komplett aufklappbare Front- und Heckpartie sowie der hinter dem Cockpit positionierte Motor, der vom V6-Triebwerk des Ferrari 246 Dino abstammt.
Auch das Cockpit war revolutionär. Es bietet nur Platz für zwei Schalensitze. In den Türen sind spezielle Ausbuchtungen für die Ablage von Rennhelmen vorgesehen. Das so genannte „Colour Blocking“ des Interieurs spielt durch die Verwendung der Farben Blau, Rot und Gelb mit starken Kontrasten. Stilelemente wie die runden Rückleuchten, der Spoiler auf der hinteren Dachkante und die Farbgebung im Cockpit gaben dem Lancia Stratos ein für seine Zeit futuristisches Design, das auch heute noch aktuell ist.
Und so ist es kein Zufall, dass der Lancia Stratos eins von neun historischen Modellen der Marke ist, die als Inspiration für die Entwicklung zukünftiger Serienfahrzeuge von Lancia dienten. Ein erstes Beispiel für den Dialog zwischen Vergangenheit und Zukunft ist das aktuelle Konzeptfahrzeug Lancia Pu+Ra HPE, das mit seinem vollelektrischen Antrieb, dem Design und dem Ambiente ein Vorbild für kommende Modelle von Lancia ist. Der Pu+Ra HPE erweist sich beispielsweise mit seinen runden Rückleuchten des Lancia Stratos auch als eine Hommage an die kompromisslose und radikale Seite der Marke. (aum)
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