Seit der Vorstellung des letzten neuen Rolls-Royce, dem Ghost, sind erst rund vier Jahre vergangen. Vor der Übernahme der Firma durch BMW waren neue Modelle seltener als Regen in der Zentralsahara. Und da „neu“ in der Autobranche oft auch „mehr“ bedeutet, verfügt der Wraith über so viel Leistung wie noch nie ein Rolls-Royce zuvor.
Der Zweitürer bereichert die Angebotspalette der Marke um eine zusätzliche Karosserieform. Im englischen Sprachjargon wird sie „Fastback“ genannt, wörtlich übersetzt „schneller Rücken“. Die Wurzeln des Fastback-Designs liegen in den Stromlinien-Fahrzeugen der 30er Jahre. Der erste Wraith mit dem RR-Logo war aber noch ein Viertürer, geblieben sind heute die hinten angeschlagenen Türen. Eine Schrägheck- oder Coupéform schien zwingend, da es im Luxussegment offenkundig eine Menge Kunden für Autos dieser Art gibt.
So viele werden es vom Wraith kaum werden, schon deshalb nicht, weil die Tempo-Junkies unter den Gutbetuchten bei Rolls-Royce keine volle Befriedigung finden können. Eisern hält das Unternehmen daran fest, die Höchstgeschwindigkeit auf 250 km/h zu begrenzen, egal wie viel technisch möglich wäre. Und dass beim Wraith deutlich mehr möglich wäre, kann man sich gut vorstellen, leistet doch der Zwölf-Zylinder-Doppelturbomotor noch einmal rund 60 PS mehr als beim Ghost. 632 Rösser (465 kW) sind es genau, die hier vorgespannt werden.
Wie nicht anders zu erwarten, beeindruckt der Wraith durch seine dramatischen Dimensionen. Mit 5,27 Metern von Burg zum Heck ist er länger als gestreckte Oberklassen-Limousinen deutscher Premium-Marken. Ein Leergewicht von 2360 Kilogramm rückt ihn auf der Waage in die Nähe ausgewachsener SUV. Der Radstand von 3,11 Metern sorgt dafür, dass Passagiere auf den rückwärtigen Einzelsesseln entspannt Platz nehmen können. Auch die Kopffreiheit ist für ein Fahrzeug dieser Bauart erfreulich üppig. Dass edle glänzende Hölzer, viel Chrom und handschuhweiches Leder den Innenraum schmücken, ist hingegen keine Überraschung. Weniger als allerhöchsten Komfort kann die Marke ihren Kunden schon aus Imagegründen nicht zumuten. Damit man in all dem Gepränge das Anschnallen nicht vergisst, wäre auch auf den Rücksitzen eine Belegungserkennung nebst Warnton wünschenswert.
Als Teil des BMW-Konzerns kann Rolls-Royce auf die technischen Ressourcen der Bayernmarke vertrauen. Sie manifestieren sich im Bedienkonzept der Bordelektronik, in der Verwandtschaft der Navigations-Grafiken, aber auch im „Made-in-Germany“-Stempel auf dem Zigarrenanzünder. Der seitens BMW auf sechs Liter Hubraum ausgelegte Zwölfzylinder wird im englischen Goodwood auf 6,6 Liter gebracht, die Turbo-Aufladung verhilft ihm zu einem Lkw-tauglichen Drehmoment von 800 Newtonmetern. Die ZF-Acht-Gang-Automatik hat damit kein Problem, sie schaltet ebenso komfortabel und geschmeidig wie in anderen Fabrikaten. Nur bietet Rolls.Royce die Besonderheit an, dass die elektronische Getriebesteuerung sich an Positionsdaten des Fahrzeugs und dem Fahrstil des Lenkers orientieren kann.
Die satellitenunterstützte Steuerung nutzt GPS-Daten, um zu erkennen, was auch der Fahrer sieht. Kurven, Steigungen oder Gefälle, Ortseinfahrten oder mehrspurige Fahrbahnen werden sozusagen vorausgeahnt, indem die exakte Fahrzeugposition zugrundegelegt und daraufhin der optimale Gang für den voraus liegenden Straßenabschnitt gewählt wird. Daraus resultiert ein Fahrerlebnis, das die Engländer gern „Waftability“ nennen und das ein Gefühl der anstrengungslosen Leistungsentfaltung beschrieben soll.
Der Wraith ist so leicht und unaufgeregt zu chauffieren, dass man Größe und Gewicht leicht vergessen kann. Leistungsengpässe sind ausgeschlossen, da die optimale Durchzugskraft schon ab 1500 Umdrehungen verfügbar ist. Nur selten werden mehr als 50 Prozent der Motorkraft eingesetzt. Darüber informiert die „Power-Reserve“-Anzeige, die den Drehzahlmesser auf originelle Weise ersetzt. (ampnet/ab)
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