Mittwoch, 24. September 2014 Rolls Royce Ghost II: Time is Money
Rolls Royce Ghost. Foto:Auto-Medienportal.Net/Rolls Royce
Wir übernehmen unseren Rolls Royce Ghost der zweiten Generation in Canary Warf, dem Londoner Stadtteil mit der tiefsten Beziehung zum Finanzmarkt. Wie passend, dass genau hier unsere Beziehung zum britischsten aller Nobelmobile beginnt. Hier arbeitet das Geld und fährt gern auch einmal Rolls Royce, zur Entspannung oder – wie man es gerade so intensiv diskutiert – zur Entschleunigung. Schnell sieht er mit seinem gewaltigen Kühler, der sich seit 100 Jahren scheinbar nicht verändert hat, wahrlich nicht aus, auch wenn unter seiner langen Motorhaube zwölf Zylinder mit zusammen 6,6 Litern Hubraum nur darauf warten, den 2,5 Tonner auf Trab zu bringen. Und trotz des Sportwagenwerts von nur 4,9 Sekunden, die der Spurt von 0 auf 100 km/h dauert, erwartet niemand von einem Rolls Rekordzeiten in Silverstone, sondern vorbildliches Gleiten auf dem Motorway ins Cottage auf dem Lande oder zum Appartement mit Themseblick.
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Auf den schmalen Landstraßen im Londoner Umland oder im Stau auf der M25 bleibt viel Gelegenheit zum Philosophieren. Und auch diese Zeit füllt der Ghost mit seinem ganz besonderen Geist und nicht nur mit der überwältigend klingenden Rundum-Beschallung aus diversen Quellen. Angesichts des Preises von rund einer viertel Million Euro für unser Exemplar, geht einem der Gedanke an Geld so schnell nicht aus dem Kopf: Geld ist Zeit und Zeit ist Geld. Beim Rolls Royce bekommt man für sein Geld nicht nur die Entschleunigung, sondern auch die Zeit, die es braucht, dieses Auto von Hand zu bauen. „Hand Built in Goodwood. England“ verkündet die hochglänzende Einstiegleiste. Handarbeit ist nicht nur teuer. Ihr Reiz besteht in der Individualität. Mit Handarbeit wird auch ein Serienmodell zum Einzelstück. Das wird auch der Rolls Royce-Kundenberater betonen, wenn er mit dem Kunden die passenden Extras bestellt, das merkt man darüber hinaus aber in jedem Rolls Royce. Hier ist das Armaturenbrett noch ein Brett und nicht ein kunstvoll verformtes Holzfurnier. Ein Türgriff ist ein Türgriff, und zwar ein massiver, auch wenn Keyless go an Bord ist. Eindrucksvoll auch die Haltegriffe. Die kennt man schon lange, aber nicht so edel an den Enden verchromt und mit Kunststoff statt mit Leder. Überall begegnen einem Elemente, die man schon einmal gesehen hat, aber alles vom Feinsten in Hochglanz-Chrom, mattem Stahl und Kristallglas, alles an heutigen Maßstäben eher überdimensioniert, grifffest und von einem Mechanik-Charme, den Männer lieben, weil nichts so aussieht, als hätten sie es nicht selbst bauen können – wenigstens in ihrer Phantasie. Mit diesem Besinnen auf die alten Werte und Techniken laufen die Entwickler moderner Rolls Royce-Modelle in eine Falle. Sie wollen Ihren Käufer nicht nur mit den Insignien seiner Macht und den Elementen echter Tradition umgeben, gleichzeitig müssen sie ihm die komplette Hochtechnik dieser Tage so verpacken, dass der Spagat nicht sichtbar wird. Schließlich will der Finanzer auf der M25 im Stau weiter „traden“, denn die Finanzwelt dreht sich nun einmal schneller als die großen Räder seines Rolls. Er will so intensiv vernetzt sein, wie es nur geht. Nur gut, dass die Mutter in München in dieser Hinsicht in der Premier League spielt und auch gleich noch die passenden Regel- und Assistenzsysteme mitliefern kann. Dem Designer fällt dann die Aufgabe zu, das alles so einzubringen, dass kein Verdacht aufkommen kann, hier sei High-Tech am Werk und dann auch noch Spitzentechnik aus München. Weil hinter aller automobilen Majestät aus Großbritannien auch die Technik eines BMW steckt, bringt der Geist des Ghost auch bei unserer Mittagsrast im Haus eines Erfolgreichen aus der City die Frage auf: Wie misst man das „Beste“ angesichts des Daimler-Slogans „Das Beste oder nichts“? An Bord eines Rolls Royce, gar noch von den bequemen Rücksitzen aus und mit Blick auf die Aktienkurse auf dem Bildschirm des In-Seat-Infotainments fällt die Antwort leicht. Es kommt eben auf den Maßstab an. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er das andere Beste will. Während ich mich im Stau auf der M25 wundere, dass die Stellmotoren der Sitzverstellung lauter sind als der Zwölfzylinder im Leerlauf, fragt sich mein Mitfahrer: „…und dafür doppelt so viel wie für eine S-Klasse?“. Ja eben. Entschleunigung muss man sich leisten können – und wollen. Nicht jeder freut sich daran, ständig den besten Stand der Technik im derzeit attraktivsten Innenraum um sich zu haben. Tradition gibt Sicherheit, Sicherheit bringt Souveränität. Technik und Moderne können das auch – aber nicht so herzzerreißend altmodisch. (ampnet/Sm)
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