Sonntag, 8. November 2015 Porsche 911 Carrera: Die Ausnahme wird zur Regel
Porsche 911 Carrera. Foto:Auto-Medienportal.Net/Wollstein
Preissenkung bei Porsche! Eine Meldung, zu schön, als dass sie wahr sein könnte. Doch irgendwie stimmt sie auch: Einen 911er Turbo bekam man bisher nicht unter 165 149 Euro, ab Dezember ist ein Elfer mit aufgeladenem Motor schon ab 96 605 Euro zu haben - einer radikalen Neujustierung des Antriebskonzepts sei Dank. Diese Innovation wird Puristen genau so zetern lassen, wie 1997 die Umstellung vom luft- auf einen wassergekühlten Boxermotor. Aus Porsche-Sicht ist die Neuerung aber ebenso nötig wie konsequent. Der Hubraum – zuletzt 3,8 Liter - musste runter, um den Verbrauch zu senken, gleichzeitig durfte sich die Leistung aber nicht verringern, also wird per Turbo nachgeladen. Und das künftig bei jedem 911er. Was früher die Ausnahme war, wird jetzt zur Regel.
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Ein „großer Sprung“ ist es für Baureihenleiter August Achleitner, dass die neuen Motoren in beiden Leistungsstufen je 60 Newtonmeter mehr Drehmoment mobilisieren. Wie das wirkt, ist auf der Stoppuhr gut zu sehen. Wer im Carrera S den Rennstart-Modus, also die Launch Control, aktiviert, kann den Sprint von null auf 100 km/h in weniger als vier Sekunden schaffen. Für Achleitner ist da „eine Schallmauer“ gefallen. Die große Renovierung der Porsche-Ikone beschränkt sich allerdings nicht auf die Installierung eines Turboladers je Zylinderbank und das Unterbieten von alten Bestmarken. Bedingt durch veränderten Frischluft- und Kühlbedarf veränderte der 911er auch sein Äußeres. Größere Lufteinlässe vorn sowie große senkrechte Lamellen auf der Motorklappe hinten sorgen für eine zuverlässige Versorgung mit dem leistungsfördernden Sauerstoff.
Da die meisten Verkehrsteilnehmer den neuen Elfer vermutlich von hinten sehen werden, können sie dort weitere Unterscheidungsmerkmale zum Vorgänger ausmachen. Nicht nur die Struktur des Lüftungsgitters verrät ihn, auch kleine, rechteckige Auslassöffnungen links und recht an der Heckschürze künden vom Novum. Da sich die Verbrennungsluft beim Verdichten erheblich erwärmt, muss sie durch zwei zusätzliche Ladeluftkühler wieder abgekühlt werden. Der Entsorgung des gebrauchten Gases dienen diese Öffnungen. Das technisch aufwändige Thermo-Management bietet optische Signale, ebenso die Abgasanlagen, die Carrera und Carrera S voneinander trennen. Die Lader arbeiten mit einem Betriebsdruck von nur 1,1 bar, versetzen das Boxer-Triebwerk aber in die Lage, schon ab 1700 Umdrehungen das maximale Drehmoment von 450 Newtonmetern zu mobilisieren. Die 309 kW / 420 PS starke S-Version bringt es sogar auf 500 Newtonmeter. Im Unterschied zum „großen“ 911er Turbo kommen hier aber Turbinen zum Einsatz, die fest stehende Schaufeln haben. Die technisch noch anspruchsvollere Version der variablen Turbinen-Geometrie (VTG) bleibt den leistungsstärksten Elfern vorbehalten. Ein wenig fremd klingt es schon, wenn man im neuen Coupé oder Cabrio die ersten Kilometer zurücklegt. Naturgemäß ist diese Begegnung im öffentlichen Straßenverkehr ein vorsichtiges Herantasten in niederen Tempobereichen, wo die Abwesenheit des als „typisch Neun-Elfer“ empfundenen Ansauggeräusches erst einmal irritiert. Ein wenig mehr Druck aufs Gaspedal verscheucht das Ungewohnte vorübergehend. Während die Karosse nach vorn drängt, rollt die zweiflutige Abgasanlage eine ans Vertraute erinnernden Schallteppich aus.
Die akustische Begleitung der Fahrerlebnisse ist einerseits mit dem Gasfuß, andererseits mit dem Portemonnaie dosierbar. Unterhalb von 3000 Umdrehungen ist der Carrara ein zurückhaltender Begleiter, der dezent sein Klangrepertoire kontrolliert und erst auf ausdrücklichen Wunsch des Fahrers oder der Fahrerin seine Stimme erhebt. Tempozuwachs und Schallpegel bilden dabei ein abgestimmtes Duett, ohne jedoch emotional mitzureißen. Der frei atmende Sauger ist kerniger, kehliger, manchmal auch bellender und rotziger. Die mechanischen Hindernisse für den Luftstrom auf der Einlass- wie auf der Abgasseite scheinen das akustische Potenzial ins Wattige zu dämmen.
Wer auf mehr Würze in seinem Klangmenü Appetit verspürt, wird wohl nicht darum herum kommen, sich einen Carrera S nebst kostenpflichtiger Sportabgasanlage zuzulegen. Von Hause aus ist der 37 kW / 50 PS stärkere S mit einem vierflutigen Auspuffsystem ausgerüstet, ein geänderter Schalldämpfer sowie die zentral verlegten Endrohre entfachten im Fahrtest eine Soundkulisse, die Performance und Erwartungen eher gerecht wird. Mit 260 610 Euro steht der schaltbare Klappenauspuff in der Preisliste, manche Fans halten ihren Effekt für unbezahlbar. In der Summe ist die Porsche-Ikone – und das wird Fans und Kunden gleichermaßen beruhigend – trotz aller Modifikationen das geblieben, was sie ohne Standard-Turbo schon war: Ehrlich und geradeheraus. (amp/afb)
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