In der Summe seiner Eigenschaften ist der Reitwagen der wichtigste Vorreiter der individuellen Mobilität, wie sie seitdem das Automobil in Bestform ermöglicht. Er ist der rollende Beweis, dass der Verbrennungsmotor ein Straßenfahrzeug antreiben kann – und dass ein Mensch diese Maschine vollständig kontrollieren kann. Er macht sich die Maschine mit dem Ziel der Fortbewegung vollständig untertan, im Reitwagen sogar bildlich: Der Fahrer sitzt auf dem Motor und umschließt diesen gleichermaßen. Allein über wenige Hebel ist er in der Lage, das Fahrzeug in Gang zu setzen. Damit hat der Reitwagen eine große Signalwirkung, die bis in die heutige Zeit fortwirkt. Eine weiteres bedeutsames Signal setzt der Reitwagen zudem mit seiner Kompaktheit: Er nutzt den damals kleinsten und leistungsfähigsten Verbrennungsmotor, der problemlos in einem Zweirad unterzubringen ist – ein kleineres Fahrzeug mit Verbrennungsmotor als den Reitwagen kann man damals nicht bauen. Die wichtigste Voraussetzung für den Reitwagen, zugleich das erste Motorrad der Welt, ist Gottlieb Daimlers Viertakt-Einzylindermotor, den er am 3. April 1885 zum Patent anmeldet – ein Meilenstein der Technikgeschichte, denn das Aggregat ist klein und leistungsfähig, verglichen mit den damaligen Verbrennungsmotoren für den Stationärbetrieb. Daimler hingegen hat vor allem die mobile Verwendung vor Augen. Er meldet den Reitwagen mit einer „Gas- oder Petroleum-Kraftmaschine“, wie es in der Patentschrift heißt, am 29. August 1885 zum Patent an (DRP Nr. 36 423, ausgegeben am 11. August 1886). Der Reitwagen ist der rollende Beweis, dass die Verbrennungsmaschine ein vom Menschen kontrolliertes Straßenfahrzeug antreiben kann. Zudem zeigt er auf eindrucksvolle Weise, wie klein und leistungsfähig der Daimler-Motor ist: Der Reitwagen ist ein sehr kompaktes Fahrzeug – eine wichtige Botschaft angesichts der voluminösen Stationär-Verbrennungsmotoren der damaligen Zeit.
Zwei Erfinder – eine Idee
Die Gründerväter der Daimler AG, Gottlieb Daimler in Cannstatt und Carl Benz in Mannheim, arbeiten Ende des 19. Jahrhunderts an der identischen Fragestellung: der Erfindung eines Fahrzeugs, mit dem man unabhängig beispielsweise von Pferdekraft unterwegs sein kann. Sie tüfteln, ohne vom anderen zu wissen, vermutlich haben sie sich persönlich auch nie kennengelernt. Zwischen ihren Wirkungsstätten liegt eine Wegdistanz von rund 120 Kilometern – Ende des 19. Jahrhunderts mindestens eine Tagesreise. Sie erreichen das Ziel fast zeitgleich mit unterschiedlichen Lösungen: Benz baut seinen dreirädrigen Patent-Motorwagen, für den er am 29. Januar 1886 das Patent DRP Nr. 37 435 erhält. Von Daimler kommt kurze Zeit später der erste vierrädrige Kraftwagen, indem er seinen Verbrennungsmotor, der im Reitwagen die Bewährungsprobe bestanden hatte, in ein Kutschgestell einbaut. Daimler verfolgt die Vision der umfassenden Motorisierung diverser Fahrzeuge, zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Schon früh demonstriert er die universellen Einsatzmöglichkeiten des Motors, beispielsweise 1887 in einem Boot, 1888 im Luftschiff von Friedrich Hermann Wölfert. Aber auch Benz ist rege: Er stellt ebenfalls im Jahr 1887 sein erstes Motorboot fertig, Flugmotoren folgen später. Da hat bei beiden die Serienfertigung von Automobilen bereits begonnen.
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