Der erste 300 SL existiert nicht mehr; er wurde im Werksbesitz verschrottet. Aber der zweite gebaute Wagen mit der Fahrgestell-Nummer 194 010 00002/52 ist noch vorhanden und ununterbrochen im Werksbesitz, seit er 1951/52 in der Rennwerkstatt gebaut wurde. Dieser älteste existierende SL wurde für das Jubiläum „60 Jahre SL“, das in 2012 gefeiert wird, aufwändig restauriert. Dabei hat das Mercedes-Benz Classic Center in Fellbach sämtliche Teile des vollständig demontierten Fahrzeugs untersucht und, wenn nötig, nach höchsten Maßstäben an Originalität und Qualität wieder instand gesetzt. Eine klare Vorgabe war, die Substanz in jeder Hinsicht zu erhalten: So erstrahlt der zweite jemals gebaute 300 SL (W 194) zwar wieder in neuem Glanz – doch die Spuren eines langen und aufregenden Fahrzeuglebens zeigt er weiterhin stolz. Besonders aufwändig war die Restaurierung der Karosserie. Sie ist aus sehr dünnem Aluminium-Magnesium-Blech gefertigt und damit schon von Haus aus empfindlich. Zudem hatte die Zeit sie an vielen Stellen stark gezeichnet. Die Arbeiten der Spezialisten dauerten rund sechs Monate, bis das Blechkleid des ältesten existierenden SL der Welt wieder in voller Schönheit fertig war. Die Restaurierung des Fahrzeugs insgesamt hat zehn Monate gedauert, was angesichts der umfangreichen Arbeiten einen sehr engen Zeitplan unterstreicht. Doch die Mühe hat sich gelohnt. Wenn jetzt der Motor des Mercedes-Benz 300 SL mit dem originalen Kennzeichen „W59-4029“ wieder angelassen wird und das Fahrzeug rasch Fahrt aufnimmt – dann glaubt man sofort, dass es gut ist für eine Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h und damit für eine der erfolgreichsten Sportkarrieren der 1950er-Jahre. Das erste Motorsportfahrzeug von Mercedes-Benz nach dem Zweiten Weltkrieg entsteht zu einer Zeit, als Europa noch in Trümmern liegt: Am 15. Juni 1951 beschließt der Vorstand, ab 1952 wieder an Sportwagenrennen teilzunehmen, und gibt endgültig den Bau des „300 Super-Leicht“ in Auftrag, wie der neue Wagen zunächst getauft wird. Später kürzt man den Zusatz durch die Buchstaben SL ab – so entsteht die Typenbezeichnung 300 SL. Sein Motor M 194 ist abgeleitet vom Aggregat der Repräsentationslimousine Mercedes-Benz 300, dem sogenannten Adenauer-Mercedes. Für den Einsatz im Rennsportwagen steigern die Ingenieure die Leistung auf rund 170 PS (125 kW). Der Sportmotor wird, versehen mit Trockensumpfschmierung, im Winkel von 50 Grad nach links liegend eingebaut. Die Karosserie dieses ersten SL nimmt bereits Kennzeichen der späteren Serien-Sportwagen vorweg. Dazu gehört das flache Rennwagengesicht aus der Vorkriegszeit mit einem auf dem Gitter der Kühlluftöffnung angebrachten Mercedes-Stern. Charakteristisch für das Coupé sind die berühmten Flügeltüren: Sie sind tief in das Dach eingeschnitten, öffnen nach oben und sind zunächst als reine Einstiegsluken nur bis zur Gürtellinie ausgeführt. In den Vorbereitungen der „24 Stunden von Le Mans“ werden die Türausschnitte vergrößert und erinnern nun noch stärker an ausgebreitete Flügel, weshalb der Wagen von den Amerikanern „Gullwing“ (Möwenflügel) und von den Franzosen „Papillon“ (Schmetterling) getauft wird. Bei zwei Rennen kommt der 300 SL nicht als „Flügeltürer“, sondern mit einer Roadster-Karosserie zum Einsatz. Leichtbau hat beim 300 SL hohe Priorität. Wo man kann, wird Gewicht eingespart – die Karosserie besteht aus Aluminium-Magnesium-Blech, verschiedene mechanische Komponenten aus Aluminium und Magnesium, und diverse Teile sind durch Bohrungen erleichtert, wo es nur geht. Eine weitere Option zur Wettbewerbsfähigkeit ist es, einen möglichst windschlüpfigen Aufbau zu finden. Rudolf Uhlenhaut, zu diesem Zeitpunkt Leiter des Pkw‑Versuchs bei Daimler-Benz, entwickelt für den W 194 einen lediglich 50 Kilogramm schweren Rahmen aus sehr dünnen hochlegierten Stahlrohren, die nur auf Druck und Zug beansprucht werden. Der Innenraum ist voll verkleidet und strahlt eine für einen Rennwagen ungewöhnliche Behaglichkeit aus.
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