Donnerstag, 26. September 2013 Mercedes SLS AMG GT Roadster: Super plus
Foto:Auto-Medienportal.Net/Daimler
„Wir haben kein Brot mehr“, ruft meine Frau. „Ich fahre sofort“, antworte ich eilfertig, greife einen Wagenschlüssel, verlasse das Haus und schrecke zurück. Mit diesem Auto – wenn auch nicht mit Stoffdach – fährt Bernd Mailänder der Formel-1-Meute voraus, und ich hole damit Brot? Kanonen auf Spatzen, Perlen vor die Säue – solche und ähnlich Sprüche gehen mir durch den Kopf. Was mich aber eigentlich beeindruckt – nicht erschreckt –, ist der fehlende Respekt vor einer Ikone des Sportwagenbaus, der auf jedem Supermarktparkplatz überdeutlich zutage tritt. So viel Respekt hat sich der Mercedes SLS AMG GT Roadster bei mir persönlich mit meiner Geschichte erarbeitet. Als Schlüsselkind durfte ich 1956 auf dem Hof der Mercedes-Niederlassung an der Podbielskistraße in Hannover schon einmal einen Mercedes 300 SL streicheln. Meine „Tante Erika“, Sekretärin des Niederlassungsleisters, hatte mich an die Hand genommen und sogar die Flügeltür für mich geöffnet.
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Seitdem ist der Mercedes 300 SL mein emotionales Maß, an dem sich jeder Sportwagen messen muss.
Der Mercedes SLS AMG hat damit weder als Flügeltürer-Coupé noch als Roadster mit der gutsitzenden Stoffmütze ein Problem. Die Parallelen und Zitate aus 300-SL-Tagen prägen auch den SLS. Eine extrem lange Motorhaube mit den berühmten seitlichen Kiemen, das Greenhouse, in dem der Fahrer fast auf der Hinterachse sitzt, das runde Stummelheck und die kurzen Überhänge überzeichnen fast die klassischen Sportwagenproportionen.
Ebenso klassisch wie die Silhouette und der Sauger-Motor, sogar fast puristisch gibt sich auch der Innenraum mit Rundinstrumenten, vier runden Lüftern, einem kleinen Bildschirm fürs Infotainment und eine wie aufgesetzt wirkende Bedieneinheit auf dem Mitteltunnel. Zu diesem reinen Sportlerauftritt passen auch die Sportsitze mit den integrierten Kopfstützen und die roten Akzente im sonst schwarzen Innenraum.
Was soll's? Wer sich für diesen SLS entscheidet, will den Motor hören, am besten mit offenem Dach. Doch davor haben die Konstrukteure die Aufgabe des Einsteigens gestellt. Bei geschlossenem Dach gelingt es nicht vielen, elegant über die mächtigen Längsholme in das tiefe Etui aus hoher Seitenwand, Mitteltunnel, Sitzwangen und Rückenlehne zu gleiten.
Hat der SLS einen so geschluckt, geschieht etwas Unerwartetes: Alles passt; man fühlt sich sofort zuhause und kann sich ganz auf die scheinbar unendlich lange Motorhaube konzentrieren.
Mit dem Druck auf dem Start-Knopf beginnt der praktische Teil des SLS-Erlebnisses eindrucksvoll mit einem Aufbrüllen aus acht Töpfen, das erst nach ein paar Sekunden abschwillt. Nachbarn werden diese Abschwellphase mehr lieben als das anfänglich heftige Aufbrüllen.
Der V8-Motor sitzt hinter der Vorderachse. Der SLS ist also ein Mittelmotorsportler, was seiner Wendigkeit zugutekommt. Aber bevor's ans Fahren geht, wollen wir erst einen Blick auf den sauber verkleideten Motor werfen. Unser Exemplar wurde von Sicadas Inthrathas montiert, was er per Unterschrift auf einer Plakette bestätigt hat. Vielleicht war Sicadas ja so gut, dass unser Exemplar ein paar PS mehr hat als andere. Obwohl die paar Pferdestärken angesichts der Menge unerheblich sein dürften. Die technischen Daten beziffern die Leistung mit 435 kW / 591 PS bei 6300 Umdrehungen pro Minute (U/min). Und auch für das maximale Drehmoment von 650 Newtonmeter müssen immerhin auch hohe 4750 U/min anliegen.
Dieses Drehzahlniveau zu erreichen, fällt dem Sauger leicht. Nahtlos stürmt er durch die sieben Gänge der schnell schaltenden AMG-Speedshift-DCT-Sportautomatik, einem Doppelkupplungsgetriebe. Die übergroße Breite, das aufwändige Alu-Fahrwerk namens AMG Ride Control mit seinen per Elektronik deutlich sichergestelltem ständigen Fahrbahnkontakt und der extrem geringen Neigung zum Wanken oder Nicken locken zusammen mit der direkten, spontan reagierenden sportlichen Lenkung zum Spurt und in den Grenzbereich. Den auszutesten, überlassen wir gern anderen und lassen uns lieber davon überraschen, wieviel Gelassenheit so viele PS und solch ein Fahrwerk für das tägliche Leben auf der Straße bringen.
Was nach dem Start auf der Straße oder der Rundstrecke geschieht, hat man selbst in der Hand; denn ein Drehschalter erlaubt die Wahl zwischen drei Fahr-Modi (C, Sport, Sport+). Dampf bietet der SLS auch schon im C-Modus, bei S und S+ agieren alle Mitspieler ein bisschen schneller.
Dafür hinterlässt der Mercedes SLS AMG GT Roadster auch auf normalen Straßen mächtig Eindruck. Das mag man genießen, so wie kürzlich am Nürburgring, als Autospotter die Objektive nicht vom offenen SLS in der aufpreispflichtigen matten Lackierung Designo Magno Alanitgrau abwenden mochten. Manchen ist so viel Aufmerksamkeit angesichts des Fahrerlebnisses einerlei, andere brauchen das. Beim Brötchenholen und auf dem Baumarktparkplatz fühlt sich vermutlich jeder mit diesem Kracher overdressed. (ampnet/Sm)
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