Doch alles kommt anders. Statt der Rechnungsprüfung, schlägt den Jungen die Werkstatt der Brüder Ceirano im Hof des elterlichen Hauses in den Bann. Hier fertigen die zwei findigen Mechaniker Fahrräder, die unter dem Markennamen Welleyes vertrieben werden. Lancia schaut zu, lernt viel und wird innerhalb kurzer Zeit zu einem erfahrenen Mechaniker. Als sich die beiden Brüder an die Konstruktion der ersten Automobile machen, ist der Junge vollauf begeistert. Er schafft es, dort zunächst als Buchhalter eingestellt zu werden. Anstatt jedoch die Buchführung zu sortieren, widmet er sich lieber der Reparatur von Motoren. Im Jahre 1899, nachdem einige Finanziers gefunden sind, machen sich die Brüder Ceirano an die Fertigung eines vom Ingenieur Aristide Faccioli entworfenen Kleinwagens. Das Automobil trägt den Namen Welleyes und wird ein so grosser Erfolg, dass es den Ceiranos kaum mehr möglich ist, gegen die Auftragsflut anzukämpfen. Im Juli akzeptieren sie ein Angebot von Giovanni Agnelli und treten sämtliche Anlagen wie auch die Patente des Welleyes (auf dessen Basis wenig später der Fiat 3,5 HP entstehen sollte) für 30'000 Lire ab. Der 18jährige Vincenzo Lancia und der gleichaltrige Felice Nazzaro, der vor kurzem ins Unternehmen eingetreten ist, werden von Fiat als Testfahrer übernommen. Besonders in den ersten Jahren engagiert sich Fiat stark im Motorsport. Hinter dem Steuer der Rennwagen: die zwei Testfahrer Vincenzo und Felice. Nazzaro ist hinter dem Lenkrad ein wahrer Ästhet, Lancia hingegen ein ungestümer, aber oftmals schnellerer Fahrer. Penibel und anspruchsvoll bei der Arbeit, ist er ein ausgesprochen lebenslustiger Zeitgenosse; ein kraftvoll gewachsener, aber feinfühliger Mensch, ein ausgewiesene Opernliebhaber und Musikkenner. 1906 wird er Konstrukteur und gründet gemeinsam mit seinem Freund Claudio Fogolin das Unternehmen Lancia. Im Jahre 1922, Vincenzo Lancia hat längst ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut, heiratet er die Sekretärin Adele Miglietti. Gemeinsam haben sie drei Kinder: Anna Maria, Gianni und Eleonora. Lancia treibt unaufhörlich die Entwicklung neuer Modelle voran und wirkt an vorderster Front oftmals selbst als Testfahrer mit. Mitten in einer ausgesprochen dynamischen Schaffensperiode erliegt er am 15. Februar 1937 noch vor der Vollendung des 56. Lebensjahres einem Herzinfarkt. Völlig unerwartet stirbt damit einer der Männer, dem wir einige der bedeutendsten Kapitel im Buch der Automobilgeschichte verdanken. Scharfsinn, Originalität und Mut sind die Wesenszüge, die seine Tätigkeit als Konstrukteur kennzeichneten. Sein letztes Werk ist der Aprilia.
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