Die Idee, sich komplett dem Sportwagenbau zu widmen, haben wir Enzo Ferrari zu verdanken. Ferruccio kaufte sich seinerzeit einen Ferrari und stellte nach der Auslieferung diverse kleine Mängel fest. Nachdem er dies dem "Commendatore" mitteilte, liess Enzo Ferrari ihm ausrichten, dass er keine Verbesserungsvorschläge von einem Treckerbauer bräuchte. Das nahm Lamborghini zum Anlass, bessere Sportwagen als Ferrari zu bauen. So weit die Geschichte. Jetzt steht vor uns ein gelbes Ungeheuer. Der Murciélago. Kein anderer Hochleistungssportwagen zeigt sich optisch derart aggressiv, wie diese exklusive Audi-Tochter. Murcielago, ein Stier, dem am 5. Oktober 1879 nach einem erbitterten Kampf mit dem legendären Torrero Rafael Molina in Córdoba vom begeisterten Publikum das Leben geschenkt wurde. Stiere, seit jeher gelten diese als Inbegriff von Antrittsschnelligkeit, Kraft und Wendigkeit – Attribute, die auch für alle Modelle der Marke Lamborghini stehen. "Die Nachfrage ist weltweit riesig, doch wir wollen Qualität. Deshalb bauen wir zurzeit nicht mehr als 2000 Fahrzeuge pro Jahr", erzählt uns Stephan Winkelmann (41), Chef bei Lamborghini in Italien. 2006 rollen gerade einmal 300 LP640 vom Band, und die Warteliste reicht bereits bis zum Herbst 2007. Unser über 4,60 Meter langer, 2,60 Meter breiter und nur gerade einmal 1,135 Meter hoher Italiener sieht schon im Stand schnell aus. Nach dem Druck des Startknopfes meldet sich der riesige V12 direkt hinter den Sitzen mit einem urwüchsigem Sound. Nachdem sich die Nackenhaare wieder gelegt haben, versuchen wir zuerst mit Vorsicht, dann mit sanfter Gewalt den ersten Gang einzulegen. Dies gelingt auch, doch die ersten Kilometer zeigt er sich genauso bockig wie Kupplung und Sechsganggetriebe. Sind aber die 12 Liter Öl im Motorkreislauf erst einmal warm, flutscht alles optimal und extrem leichtgängig. Doch gewöhnungsbedürftig ist der Umgang mit dem PS-Fighter auf jeden Fall. Wer nicht sensibel genug auf das Gaspedal drückt, der hinterlässt hinten ganz schnell dicke, schwarze Striche. Kein Wunder, denn der nunmehr 640 PS starke Motor setzt den 1,7-Tonner auf Wunsch in atemberaubendem Tempo in Bewegung. Nach 3,4 Sekunden ist die 100 km/h-Marke überschritten, schon 7,1 Sekunden später rollt er mit dem doppelten Tempo und mit brachialem Vorwärtstrieb auf die 340 km/h Endgeschwindigkeit zu. Der Neue hat vor allem im Bereich über 6000 Touren mächtig zugelegt. "Wo ein 911 Turbo aufhört, macht es im LP640 erst richtig Spass," weiss Werksfahrer Giorgio Sanna. An diesem Auto ist alles gewaltig, auch die möglichen Längs- und Querbeschleunigungswerte. Mit Worten lässt sich dies eh nur schwer beschreiben, umso intensiver fühlt es der Beifahrer in seinem Magen. Unglaublich, mit welchem Tempo Kurven genommen werden. Unerschütterlich stur ziehen ihn die vier Antriebsräder nach vorne, lediglich in Haarnadelkurven erscheint der Stier sehr giftig und da sollte möglichst jede Hektik am Lenkrad, dank nicht vorhandenem ESP, vermieden werden. Diesem extremen Leistungspotenzial entsprechen die Keramikbremsen. Aus Tempo 100 steht der Lambo bei Vollbremsungen nach gut 33 Metern. Damit der Pilot sich selbst während extremer Situationen souverän auf sein Fahrkönnen konzentrieren kann, richteten ihm die Entwickler einen vortrefflichen Arbeitsplatz ein. Dazu gehören ein verstellbares Lenkrad, perfekt passende Ledersitze und eine Klimatisierung. Der Fahrkomfort allerdings ist bei langsamer?! Fahrt deutlich eingeschränkt, bei hohem Tempo wird das Schluckvermögen dagegen immer besser. Fazit: Der Preis ist unwichtig, der Verbrauch auch. Lamborghinis Murciélago ist ein echter Rennwagen mit Strassenzulassung.
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