Schon die Details des Entwicklungsauftrags verschwimmen ein wenig im Nebel der Jahrzehnte. Ob Ferruccio Lamborghini ursprünglich einen Rennwagen für die Strasse haben wollte oder ein schnelles Coupé, ist heute nicht mehr ganz zu klären. Fakt ist, dass er für sein neues Projekt gegen Ende 1962 zwei junge Ingenieure holte. Der 38jährige Giotto Bizzarini bekam die Verantwortung für den Motor übertragen. Und als Chefkonstrukteur unterschrieb Gian Paolo Dallara - mit dem Ruf eines technischen Genies. Bizzarini und Dallara kannten sich aus Maranello, wo beide verantwortlich am Ferrari 250 GTO mitgearbeitet hatten. Als dritter Mann kam der 46jährige Franco Scaglione ins Spiel. Als Designer von Bertone hatte er in den 50er Jahren die drei spektakulären BAT-Prototypen für Alfa Romeo gezeichnet. Ferruccio Lamborghini hat die Story später so erzählt: "Scaglione kam in einem grossen Mercedes in meine Fabrik, makellos gekleidet und von einer atemberaubend schönen Sekretärin begleitet. "Ihr Auto wird in einer Woche fertig sein", sagte er mir. So gab ich ihm den Auftrag." Das Herz des Prototyps aber war der Motor. Bizzarini, der fünf Jahre lang für Ferrari gearbeitet hatte, entschied sich beim ersten Lamborghini-V12 für den klassischen Zylinderwinkel von 60 Grad und einen Hubraum von 3464 ccm. Er gab seinem Entwurf eine Reihe von Details mit, die noch heute als High-Tech gelten: ein leichtes Kurbelgehäuse aus Aluminium mit eingepressten Grauguss-Laufbuchsen, eine Trockensumpfschmierung und vier obenliegende, von Duplex-Rollenketten angetriebene Nockenwellen. Eine Batterie von sechs Fallstrom-Doppelvergasern, die der Spezialist Weber zulieferte, krönte die Zylinderköpfe. Mit 77 mm Bohrung und 62 mm Hub erreichte der Zwölfzylinder Drehzahlen wie im Rennsport, als er im Mai 1963 zum ersten Mal auf dem Prüfstand lief. Seine Nennleistung von 347 PS lag bei 8000 U/min an, bei 6000 Touren wurden 326 Nm Drehmoment frei. Ferruccio Lamborghini, der eine Leistung um 350 PS verlangt hatte, soll so angetan gewesen sein, dass er sich den Motor zur Erprobung in einen seiner Privatwagen einbauen liess. Die späteren Ergebnisse hingegen konnten dem Firmenchef nicht gefallen, weil sich seine Top-Techniker nicht eng genug abstimmten, um die – damals durchaus üblichen – räumlichen Distanzen zu überbrücken. Dallara hatte seine Entwicklungsabteilung in den Räumen von Lamborghinis Traktorenfabrik in Cento bei Modena eingerichtet; Bizzarini arbeitete von seinem Büro in Livorno aus, und Scaglione betrieb sein Designstudio in Turin, wo die Carrozzeria Sargiotto auch die Karosserie baute. Den Rohrrahmen für sie steuerte Marchesi in Modena bei, und das Chassis – mit der Nummer 0100 – kam von Neri & Bonacini in Mailand. Als es im Spätsommer 1963 an den Zusammenbau der Komponenten ging, gab es lange Gesichter. Ferruccio Lamborghini soll das gesamte Design nicht recht gemocht haben. Zwei weitere Faktoren kamen dazu: Die Karosserie war dürftig verarbeitet und der V12 passte nicht unter die flache Haube. Für eine gründliche Überarbeitung lag der fest angekündigte Präsentationstermin auf der Turin Motor Show im November schon zu nah; Lamborghini entschloss sich zu einer Notlösung. In der Fabrik wollte er der Presse den Motor auf dem Prüfstand vorführen, auf der Messe die fest verschlossene Hülle des Autos zeigen. Um das fehlende Gewicht des V12 auszugleichen, packten die Mechaniker eine Ladung Keramik-Ziegelsteine in den Motorraum des Tipo 103, wie das Showcar intern hiess. Ferruccio Lamborghini schlug einen neuen Weg ein: Das Serienauto sollte harmonischer aussehen, einfacher zu bauen sein und einen alltagstauglicheren Antrieb besitzen. Scaglione wurde gefeuert, Bizzarini ging im Streit, und der Tipo 103 wurde gleich nach der Turin Motor Show in eine Ecke des Werks gerollt und dort vergessen. 1985 wurde er an einen Liebhaber verkauft, restauriert und mit einem Motor versehen.
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