Sonntag, 20. Dezember 2015 Kia Rio: Von der Trauerfeier zum Karneval
Kia Rio. Foto:Auto-Medienportal.Net/Kia
„Ich habe einen Kia Rio als Testwagen. Möchtest du den mal fahren?“ – So lauten Fragen, die erst einmal für einen Zwiespalt sorgen. Einmal soll der Freund mit seinem Angebot nicht verprellt werden, aber andererseits kommt bei der Erinnerung an die erste Generation des koreanischen Kleinwagens wenig Vorfreude auf. Zu fest hatten sich die uninspirierenden Eindrücke der 2000 erstmals vorgestellten, Limousine in die geistige Festplatte eingebrannt: farblos im Design, innen wie außen, rustikal in der Wahl von Farbe, Stoffen und Plastik im Innenraum, motorische auf dem Niveau einen schlechten Vierer-Schülers und ein Fahrwerk? Sagen wir es so: Er hatte eines. Nach wenigen Kilometern mit dem aktuellen Rio stand die Geschichte jedoch fest: In nur drei Modellgenerationen hat sich der Kia Rio von der Trauerfeier zum Karneval gemausert. Auf zur Ursachenforschung.
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Am Beispiel des Kia Rio lässt sich exemplarisch die Erfolgsstory nachzeichnen, den die koreanischen Autobauer in gut zwei Jahrzehnten auf dem deutschen Markt hingelegt haben. In den frühen Neunzigern nicht zu Unrecht aber kurzsichtig verlacht, haben sich die Korea-Konzernschwestern Kia und Hyundai durch die Importeurcharts geschnitten wie durch Butter.
Lassen wir VW-Tochter-Skoda als Importeur Nummer 1 einmal außen vor, führt Hyundai mit 99 002 Neuzulassungen in den ersten elf Monaten des Jahres die Rangliste an. Renault als langjährige Dauer-Nummer 1 kommt 2016 bislang auf 98 120 Einheiten. Fiat, jahrzehntelang die präferierte Marke aller romanophilen Deutschen stemmte bislang 65 905 Neuzulassungen. Die über lange Jahre so dominanten Japaner auf dem Importmarkt sehen von ihren koreanischen Wettbewerbern schon lange nur noch die Rücklichter. Die erste Antwort auf die Frage nach dem Erfolgsrezept der Koreaner beantwortet ein Blick auf die Papierform. Sieben Jahre, beziehungsweise 150 000 Kilometer Garantie bietet Kia auf alle seine Neufahrzeuge. Das schafft schon einmal grundsätzliches Vertrauen: Würden diese Garantiezusagen nicht auf der Basis einer soliden Produktqualität gründen, wäre der Autoverkauf bei dieser Marke keine Geschäftsidee. Darüber hinaus freuen sich Neukunden und alle, denen sie nach zwei, drei oder fünf Jahren ihr Auto weiterverkaufen wollen. Die Käufer eines vier Jahre alten Kias genießt dann immer noch einer längeren Werksgarantie als die Neukunden der meisten deutschen Hersteller. Der Blick in die Preisliste deckt eine weitere Zutat des koreanischen Erfolgsrezepts auf. Der fünftürige Kia Rio in der Topausstattung „Platinium Edition“, der auf dem Hof der gemeinsamen Ausfahrt harrt, steht als 1.4 CRDi mit 66 kW / 90 PS für 21 890 Euro in der Preisliste. Der identisch motorisierte VW Polo in der höchsten Ausstattung „Highline“ ist bei Volkswagen mit 25 835,70 Euro ausgepreist. Opel ruft für einen Corsa „Innovation“ mit 70 kW / 95 PS starkem Selbstzünder 22 500 Euro auf. Ford gibt einen identisch modifizierten Fiesta „Titanium“ für 22 420 Euro ab. Allein das Garantie-Update auf fünf Jahre, beziehungsweise 100 000 Kilometer lassen sich die Kölner mit 700 weiteren Euro vergüten. Auf zum Rio und ab in die Praxis mit der 4,05 Meter langen Limo, die sich die technische Basis mit dem Hyundai i20 teilt. Wie bemerkte einst der nunmehr abgetretene VW-Konzernchef Martin Winterkorn nach einem koreanischen Probesitzen so trefflich zu bemerken: „Da klappert nix!“ – Und nicht nur das. Da fehlt auch nix. Der Platinium-Rio schwänzt wirklich kein Zubehör-Goodie vom Metallilack über die Alu-17-Zöller, Teillederausstattung, Klimaautomatik, Audioanlage oder Navi. Das Design hat zu einer modernen Gefälligkeit gefunden, die sich mit jedem Wettbewerber messen lassen kann und die Qualität der Materialien im Innenraum hat sich vom Ur-Rio weiter entfernt wie eine Weihnachtsgans vom diätischen Lebensmittel. Der Vierzylinder mit 1,4 Liter Hubraum und 66 kW / 90 PS schämt sich akustisch nie seiner Herkunft nach dem Selbstzünderprinzip. Freilich in Dosen, die auch beim Kaltstart keinen Hader und Zwist mit der Nachbarschaft in Aussicht stellen. Ob Stadt, Land, Autobahn keine Anforderungsdisziplin an ein Alltagsauto der Kleinwagenklasse offenbart deutliche Schwächen beim Rio. Wer meist allein und nur gelegentlich zu Zweit oder zu Dritt unterwegs ist, findet bei dem Koreaner ein Auto, das eigentlich keine Wünsche offenlässt und im Detail stets angenehm zu überraschen weiß. Auch wenn es alle Anbieter größerer, schönerer, edlerer oder stärkerer Automobile nicht gerne hören werden: Mehr Auto braucht kein Mensch. Und spätestens jetzt ist das koreanische Geheimnis des Erfolgs keines mehr. (ampnet/tl)
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