Dieser Bruch mit der Vergangenheit ist ebenso radikal wie es etwa die Umstellung vom V10-Hochdrehzahl-Sauger zum V8-Turbo vor sechs Jahren war. Und was die abstrakte Zahl „600“ tatsächlich für die Praxis bedeutet, kann folgende Rechnung illustrieren: Teilte man diese Motorleistung in vier Fahrzeuge vom Typ X1 118i auf, blieben immer noch genug Pferdestärken übrig, um zum Beispiel ein BMW-Motorrad flott damit anzutreiben. Mit dieser Leistung verschafft sich das sportliche Spitzenmodell der Baureihe einen Respektabstand zum im Frühjahr vorgestellten M550i, der mit 462 PS auch nicht gerade untermotorisiert ist. Nur ein Fahrzeug in der kompletten Fertigungsriege der Bayern hat noch mehr Power: Der M 760Li, der seine Kraft aus zwölf Zylindern schöpft.
Damit Traditionalisten, für die sportliches Autofahren nur nach dem Prinzip „Motor vorn – Schub hinten“ funktionieren kann, nicht von der Fahne gehen, legt BMW die Beantwortung der Antriebsfrage aber in die Hände des Fahrers oder der Fahrerin: Unter den zahlreichen wählbaren Fahrmodi ist auch eine 2WD-Einstellung, mit der 100 Prozent Leistung an die Hinterachse beordert werden. Überhaupt bietet auch dieser M5 wieder die Chance, sich eine ausgiebige Einarbeitungszeit zu gönnen, um aus der Fülle von Einstellmöglichkeiten für die Kennlinien von Gas, Lenkung und Dämpfern ein individualisiertes Profil zu bilden. Oder man fährt ihn so, wie er ist – was dem M5-Neuling reichlich Spaßpotenzial verheißt.
Muss es auch, denn der Anschaffung geht die natürliche Auslese über die Geldbörse voraus. 117 900 Euro werden fällig, Schmankerl wie das M Track-Pack sind darin noch nicht enthalten. Wer also auf Karbonbremse, Karbon-Motorabdeckung und das M Drivers-Package nicht verzichten will, bekommt noch einmal 11 250 Euro zusätzlich in Rechnung gestellt. Letzteres ist gut angelegtes Geld, denn es beinhaltet außer der Anhebung der Höchstgeschwindigkeit auf 305 km/h (normal 250 km/h) auch ein Fahrertraining. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass sich M-Piloten für ausreichend erfahrene Sportwagen-Lenker halten: Nur ein Teil der Kunden nimmt das Training in Anspruch.
Auch wenn es bereits einen gleich starken M5 gab, trägt das neue Auto dem Wunsch nach „mehr“ umfassend Rechnung. Das vom Hersteller M xDrive titulierte Antriebskonzept verwirklicht nach Worten von Frank van Meel, dem Chef der M-GmbH, „spezifische Software für die integrierte Regelung von Längs- und Querdynamik“. Dass Vierrad-Antrieb Traktionsvorteile bietet, ist inzwischen auch dem automobilen Laien klar, im Falle des M5 würden damit aber „Agilität und Präzision des Standardantriebs mit der Souveränität und Traktion des Allradantriebs kombiniert“. Damit lasse sich die Limousine, so van Meel, „sowohl auf der Rennstrecke wie auf der Straße auch bei besonderen Witterungsbedingungen gewohnt sportlich und zielgenau dirigieren“.
Statt bei 7200 Umdrehungen, wie beim Vorgänger, gibt das aktuelle Twin-Turbo-Aggregat seine maximale Leistung bereits zwischen 5600 und 6700 Kurbelwellen-Rotationen ab, das Drehmoment stieg gleichzeitig von 680 auf 750 Newtonmeter. Um diese Schubkraft freizusetzen, reicht schon ein lascher Gasfuß aus, denn ab 1800 Touren haben die Turbinen den vollen Druck aufgebaut. Dies und der Traktionsgewinn durch Allradantrieb bewirkt das „mehr“ bei der Beschleunigung: Nach nur 3,4 Sekunden passiert die Tachonadel die 100 km/h-Markierung. Im 33. Jahr seiner Existenz untermauert der M5 so aufs Neue die These, dass ein alltagstaugliches Limousinenkonzept und konkurrenzfähige Rundenzeiten auf dem Circuit keine Widersprüche sind.
Ebendort, nämlich auf dem ehemaligen Grand-Prix-Kurs von Estoril, wurde jetzt der Beweis dafür angetreten. Und wer von den Testern es nicht schon vorher wusste, konnte am eigenen Leib erfahren, wie unmittelbar die Top-Speed auf der Geraden von jenem Tempo abhängt, mit der man aus der letzten Kurve kommt. 250 km/h am Ende der Start-Ziel-Geraden sind da eher die Regel als die Ausnahme. (ampnet/afb)
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