Wie viel Leistung verkraftet der Frontantrieb? Um diese Frage ging es im Winter 1976/77 bei den Testfahrten von Audi-Entwicklern in Schweden. Die getarnten Prototypen mit ihren 170 PS starken Fünfzylindermotoren schlugen sich tapfer. Aber sie blieben ohne Chance gegen ein hochbeiniges Gefährt mit 75 PS, das einen zuschaltbaren Allradantrieb besaß – der Militärgeländewagen Iltis, den Audi als Nachfolger des Munga entwickelte.
Ein Auto, das seine Antriebskräfte auf alle vier Räder verteilt, kann an jedem Rad mehr Seitenführungskraft aufbauen als ein Fahrzeug mit Heck- oder Frontantrieb. Seine Traktion und sein Kurvenverhalten sind überlegen. Ein sportlicher Audi-Pkw mit permanentem Allradantrieb und ordentlich Leistung – das müsste es doch eigentlich sein, dachten die Ingenieure.
Das Projekt startete im Frühjahr 1977 als „Entwicklungsauftrag 262“. Seine Väter waren drei junge Ingenieure: Entwicklungsvorstand Dr. Ferdinand Piëch, Walter Treser als Projektleiter und Jörg Bensinger, der Leiter des Bereichs Fahrwerkversuch. Der Prototyp hieß intern A1 – es war ein modifizierter Audi 80 der ersten Generation mit leicht gestrecktem Radstand und dem Turbo-Fünfzylinder des künftigen Typs 200. Als Hinterradaufhängung diente eine zweite Mc-Pherson-Vorderachse, um 180 Grad gedreht.
Bei Fahrten auf der tief verschneiten Turracher Höhe in der Steiermark im Januar 1978 spielte der Versuchsträger mit dem Kennzeichen IN - NC 92 seine Stärken in Sachen Traktion überzeugend aus. Das entscheidende Okay kam vom Volkswagen-Vorstandsvorsitzenden Toni Schmücker im Mai 1978. Einer der Projektingenieure kannte einen steilen Wiesenhang in Stammham bei Ingolstadt. Die örtliche Feuerwehr wässerte den Hang von oben bis unten ein. Schmücker setzte sich in den A1 und fuhr spielend leicht bis ganz nach oben.
Die Ehefrau von Volkswagen-Entwicklungsvorstand Ernst Fiala indes, die den A1 im Wiener Stadtverkehr bewegte, monierte Verspannungen in engen Kurven: „Der Wagen hüpft“, sagte sie. In Kurven befahren die vorderen Räder einen etwas größeren Bogen als die hinteren, deshalb müssen sie in der Lage sein, sich schneller zu drehen. Beim Prototyp war das nicht möglich, weil seine Achsen starr miteinander verbunden waren. Die Audi-Entwickler konzentrierten sich vor allem auf zwei Ziele: Der Allradantrieb sollte permanent sein, und er musste ohne ein separates Verteilergetriebe samt zweiter Kardanwelle nach vorne auskommen.
Die Hohlwelle – der Geniestreich von Audi
Franz Tengler, Abteilungsleiter in der Getriebekonstruktion, hatte eine Idee, die so einfach wie zielführend war: eine 263 Millimeter lange, hohl gebohrte Sekundärwelle im Getriebe, über welche die Kraft in zwei Richtungen floss. Von ihrem hinteren Ende aus trieb die Welle den Käfig des manuell sperrbaren Mittendifferenzials an. Das Differenzial sandte 50 Prozent der Kraft über die Kardanwelle an die Hinterachse, die ihrerseits über ein eigenes Sperrdifferenzial verfügte. Die andere Hälfte des Antriebmoments gelangte über eine Abtriebswelle, die in der hohlen Sekundärwelle rotierte, zum Differenzial der Vorderachse. Die Hohlwelle ermöglichte einen Allradantrieb, der praktisch verspannungsfrei, leicht, kompakt und effizient im Wirkungsgrad war. Das elegante quattro-Prinzip eignete sich – und das war der entscheidende Durchbruch – nicht mehr nur für langsame Geländewagen und Lastwagen, sondern ganz speziell für sportliche, schnelle Pkw und dort für die Fertigung in großen Serien.
Am Ende blieb nur noch eine Frage offen – die Frage nach dem Namen für das neue Auto. Als Vorschlag lag „Carat“ auf dem Tisch, als Abkürzung für Coupé All Rad Antrieb Turbo. Projektleiter Treser hatte die bessere Idee – der quattro war geboren.
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