Umgekehrt ist die Situation deshalb nicht ohne eine gewisse Pikanterie, da es eine britische Automobilindustrie im eigentlichen Sinne gar nicht mehr gibt. Traditionsreiche Marken wie MG, Morris, Rover oder Wolseley haben sich schon vor geraumer Zeit von der internationalen Bühne verabschiedet. Aston Martin, Lotus, Jaguar und Land Rover befinden sich in außereuropäischem Besitz. Vauxhall gehört zu Opel und ist nach 88-jähriger Mitgliedschaft im General-Motors-Konglomerat inzwischen beim französischen PSA-Konzern gelandet ist. BMW und Volkswagen sind die beiden großen deutschen Player unter den Herstellern im Vereinigten Königreich. Die Münchener mit den Marken Mini und Rolls Royce, die Wolfsburger mit Bentley.
Dass die Entwicklung auf der Insel in den beiden Städten mit Sorge betrachtet wird, darf unterstellt werden. Ebenso, dass in den zuständigen Gremien verschiedene Szenarien diskutiert werden, wie es nach dem endgültigen Brexit weitergehen könnte. Und die Aussichten sind alles andere als rosig, nimmt die Verlautbarungen der SMMT zum Maßstab. Die „Society of Motor Manufacturers and Traders“ ist als Branchenverband mit dem deutschen VDA, dem Verband der Automobilindustrie, vergleichbar und hat sich in der Vergangenheit mehrfach dezidiert zu dem geäußert, was ein Brexit ohne verlässliche Wirtschaftsregelungen zur Folge haben könnte. Fast 1,05 Millionen Fahrzeuge wurden 2019 in Großbritannien für den Export produziert und fast 55 Prozent davon gingen in Länder der Europäischen Gemeinschaft.
Nach den Beobachtungen des SMMT sind bereits in den beiden vergangenen Jahren Investitionen, Autoverkäufe und -herstellung erheblich zurückgegangen. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung noch verstärkt. Bereits jetzt, also noch vor dem endgültigen Verlassen der EU, seien tausende Arbeitsplätze verloren gegangen. Ein Abgang ohne einen Deal, so heißt es von Seiten des SMMT, würde die heftigste Veränderung der Handelsbedingungen auslösen, die UK Automotive jemals erlebt hat. Das von Brexit-Befürwortern gern genutzte Argument, eine Abwertung des Britischen Pfundes würde die Autos billiger machen und den Export ankurbeln, will der SMMT nicht gelten lassen. Die britische Automobilherstellung sei in das europäische Lieferkettennetz integriert und da die meisten für den Bau der Autos verwendeten Teile importiert sind, würden Kostenvorteile zunichte gemacht.
So vielfältig die Auswirkungen eines UK-Abgangs ohne Vereinbarung sein mögen, so einsilbig geben sich die betroffenen deutschen Eigentümer der englischen Automarken. Erkundigt man sich nach den Vorbereitungen für einen No-Deal-Brexit, fallen die Antworten spärlich aus. Angesichts des politisch heiklen Themas will sich von den Verantwortlichen kaum jemand aus dem Fenster lehnen. Einzig Torsten Müller-Ötvös, der deutsche Chef von Rolls-Royce, nimmt kein Blatt vor den Mund: „Ein No-Deal-Brexit wäre das schlechteste Ergebnis für das Geschäft, da dies unsere weltweit vernetzten Produktions- und Vertriebsaktivitäten am stärksten stören würde.“
„Was wir immer gesagt haben“, so Müller Ötvös weiter, „ist, dass wir einen Deal brauchen, der reibungslosen Handel ermöglicht. Dies wäre eindeutig nicht der Fall, wenn es um einen Brexit ohne Deal geht.“ Neun von zehn der in Goodwood gefertigten Luxus-Schlitten sind für den Export bestimmt. Etwas weniger – rund 80 Prozent – sind es bei Mini. Unter dem Logo der Kultmarke wurden 2019 etwas mehr als 222.300 Autos gebaut, von den ins Ausland verkauften gingen etwa vier Fünftel bzw. 142.300 Stück ins EU-Gebiet.
Ohne, dass jemand aus der Mini-Führungsregie sich öffentlich äußern möchte, lässt die BMW-Tochter verlauten, dass es jetzt darauf ankomme, „eine einfache Vereinbarung zu treffen, die Zölle oder zusätzliche administrative Hindernisse verhindert und Auswirkungen auf unser internationales Produktionsnetzwerk und unsere Vertriebsaktivitäten minimiert“. (ampnet/afb)
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