Montag, 13. Mai 2019 Rekordjagd mit dem Volkswagen ID R
Freitag, 10. Mai 2019, Nürburgring, kurz vor 16 Uhr. Wie immer zu Beginn des Wochenendes haben sich bei gutem Wetter auf dem großen Parkplatz am Streckenabschnitt Pflanzgarten zahlreiche Zuschauer versammelt. Die Stelle heißt so, weil sich hier einst Gärten und Felder der Grafen von Nürburg befanden. Heute blicken die Menschen erwartungsvoll auf die Rennstrecke, auf der an solchen Tagen meist normale Autofahrer gegen Gebühr ihr Talent ausprobieren dürfen. Und gerade am Pflanzgarten – für Ring-Kenner: kurz hinter dem Abschnitt "Brünnchen" – passiert es oft, dass sich manche von ihnen hoffnungslos verschätzen und ihre brave Familienkutsche spektakulär in einen irreparablen Schrotthaufen verwandeln. Sowas wollen die Leute sehen.
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Doch heute bleibt es vorerst ruhig. Lange ist von einem Auto weder etwas zu hören noch zu sehen. Dann nähert sich jedoch von weitem ein eigentümliches Rauschen, verbunden mit einem deutlich vernehmbaren Pfeifton. Noch ehe die Leute so richtig realisieren können, um was es sich da handelt, kommt von rechts ein Auto mit deutlich sichtbarem Volkswagen-Schriftzug oberhalb der Frontscheibe in enormem Tempo auf der Ideallinie herangeflogen. Unverkennbar ein Rennsportwagen mit einem Könner am Steuer. Was aber eindeutig fehlt ist der ohrenbetäubende Krach, den ein solcher Bolide normalerweise verbreitet. So leise wie dieser Wagen unterwegs ist, kann es sich nur um ein Elektrofahrzeug handeln.
Richtig. Eine Handvoll Journalisten sowie ein paar Männer in einer Weste mit der Aufschrift "Volkswagen Motorsport", wissen Bescheid und erklären den Leuten, was sie gerade erlebt haben: eine Trainingsrunde des französischen Rennfahrers, ehemaligen Le Mans-Siegers und mehrfachen Gewinners des 24-Stunden-Rennens auf dem Nürburgring Romain Dumas auf einem vollelektrischen Volkswagen ID R. Zurzeit bereiten sich Dumas und Volkswagen Motorsport darauf vor, mit diesem Renner einen Rundenrekord in der von Formel 1-Pilot Jackie Stewart so genannten „Grünen Hölle" aufzustellen.
Zwei andere Bestmarken des Südfranzosen liegen noch nicht einmal ein Jahr zurück. Beim Sieg im 96. Pikes Peak International Hill Climb in der Nähe von Colorado Springs im US-Bundesstaat Colorado stellte er am 24. Juni 2018 im VW I.D. R Pikes Peak einen absoluten Streckenrekord auf. Für die 19,99 Kilometer mit 156 Kurven benötigte er vom Start in einer Höhe von 2 862 Metern bei durchschnittlich sieben Prozent Steigung bis zum Ziel auf 4 301 Metern genau 7:57,148 Minuten.
Vier Wochen später gelang Dumas der zweite Streich. Die Bergrennstrecke beim "Goodwood Festival of Speed" in Südengland schaffte er mit dem gleichen Wagen wie in den USA in 43,86 Sekunden – neuer Elektrorekord. Die absolute Bestmarke, seit 1999 gehalten von Nick Heidfeld in einem Formel-1-Fahrzeug, verpasste er nur um rund zwei Sekunden. „Nach dem tollen Erfolg auf dem Pikes Peak haben wir in Goodwood erneut gezeigt, zu welchen Leistungen ein Elektro-Rennwagen fähig ist", jubelte VW-Chef Herbert Diess.
Jetzt soll im Sommer der nächste Rekord fallen, wenn die Auslieferung für den ID 3 beginnt, dem ersten Modell der neuen ID-Familie und damit vollelektrischen Volkswagen für normale Menschen. Dann will VW den Rundenrekord für Elektrofahrzeuge auf der Nürburgring- Nordschleife in Angriff nehmen. Es gilt, die 28,382 Kilometer lange Strecke mit ihren 73 Kurven in weniger als 6:45,90 Minuten zu bewältigen. Das schaffte zuletzt vor zwei Jahren das chinesisch-amerikanische Start-up NextEV mit dem 1360 PS starken Nio EP9.
Kein leichtes Unterfangen auf der schwierigsten Rennstrecke der Welt. „Wie der Pikes Peak stellt auch die Nürburgring-Nordschleife eine der größten Herausforderungen für ein Automobil dar“, sagt Volkswagens Motorsport-Direktor Sven Smeets. „Wir möchten zeigen, wie leistungsfähig Autos mit Elektroantrieb schon heute sind."
Der für den Rekordversuch weiterentwickelte ID R wird von zwei Elektromotoren mit einer Systemleistung von 680 PS (500 kW) angetrieben und wiegt inklusive Fahrer weniger als 1100 Kilogramm. Das Auto beschleunigt in 2,35 Sekunden auf 100 km/h – schneller als ein Formel 1-Fahrzeug. Da die Nürburgring-Nordschleife hohe Anforderungen an die Struktur eines Rennwagens stellt, liegt der Schwerpunkt der Arbeiten auf die Weiterentwicklung von Chassis, Fahrwerk und Karosserie des ID R. (ampnet/hrr)
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