Mein Beifahrer Jan Enderle ist ein Profi aus dem Bilderbuch, der mir bei dem Abfahren der Sonderprüfungen viele Tricks verrät, die sogar für mich umsetzbar sind. Denn mein letzter Einsatz als Rallye-Fahrer liegt Jahrzehnte zurück. Zwischen 1977 und 1980 fuhr ich mit meinem selbst umgebauten Fiat 128 3P Coupé einige Rallyes, die aber nicht den Charakter eines Laufes zur Deutschen Meisterschaft hatten. Und rund 30 Jahre später sitze ich hinter dem Volant eines aufgemotzten Suzuki Swift, der, entkernt bis auf Sitze und Armaturen sowie einem schützenden Käfig rund 140 PS mobilisiert. Ach, nur 140 PS? So wenig? Die leistet ja heutzutage schon jeder Polo oder Golf und mit so etwas kann man Rallye fahren? Tja, manche mögen ob solch einer Leistung müde lächeln, aber mit mehr als 140 km/h über einen ausgewaschenen Feldweg zu fahren oder mit derselben Geschwindigkeit auf einer Autobahn, sind zwei ganz verschiedene Erfahrungen! Suzuki hat mit dem Rallye-Cup ein Instrument geschaffen, in dem ambitionierte Menschen relativ preisgünstig dem Motorsport frönen können. Ein für den Rallye-Einsatz fix und fertig präparierter Swift Sport kostet 22'500 Euro, eine Saison je nach Aufwand zwischen 10'000 und 15'000 Euro. Dann ist es endlich so weit: Hinein ins Vergnügen, ab zur ersten Sonderprüfung auf den Monte Rigi, wie der Hohenpeissenberg auch genannt wird. Die rund 10 km Anfahrt von Peiting bis Peissenberg führen über eine Bundesstrasse, und da wir mit Startnummer 59 unterwegs sind, kommen uns die als Erste gestarteten Fahrzeuge schon wieder entgegen. Kurz vor dem Start drückt noch einmal die Blase. Also noch einmal raus aus dem Auto. Vorher muss aber erst der Sechspunktgurt gelöst werden und ich mich aus Käfig und Schalensitz quälen. Wieder rein ins Auto, Helm auf, Gurt an und dann geht es auch es schon los: Zittrige Hände und die Panik vor dem ersten Start. Gott sei Dank sitzt Jan neben mir und kann mich beruhigen. Gurt passt, Helm auch, Headset ist an und die Verständigung klappt, sehr wichtig, denn sobald der Beifahrer nichts mehr sagt, ist es vorbei mit der Herrlichkeit des Rallye-Piloten. Wir ziehen vor an die Linie, es geht leicht bergauf und dann sofort voll in eine lange Linkskurve, die in eine Rechtskurve mündet, vor der man besser vom Gas geht. Kurven, wechselnde Beläge und praktisch immer bergauf führend, endet die erste Wertungsprüfung (WP) nach nicht einmal sechs Minuten. Durchschnaufen ist angesagt. Wir fahren nach Altenstadt, dort war ein Rundkurs gleich dreimal hintereinander zu durchfahren, scheinbar einfach, aber an manchen Stellen doch recht tückisch. Der Übergang heraus aus dem asphaltierten Feldweg auf die Bundesstrasse wird mir in der ersten Runde fast zum Verhängnis. Ein wenig zu schnell rutsche ich fast in den Graben, was das Aus bedeutet hätte. Nach einem kurzen Zurücksetzen geht es weiter und der Schweißausbruch hält sich in Grenzen. Nach dieser zweiten WP fahren wir zurück nach Peiting – Regrouping und Service stehen auf dem Plan. Beim so genannten Regrouping formieren sich die Fahrzeuge wieder in der richtigen Reihenfolge. Mit neuer Kraft und neuem Mut versehen fahren wir ein weiteres Mal zum Monte Rigi, wo uns eine ganz besondere Überraschung erwartet: Über 50 Fahrzeuge vor uns haben den Straßenzustand extrem verändert. Das ist so ähnlich wie beim Skirennen, wer als Letzter fährt, muss die ausgewaschenen Spuren nutzen. Dass allerdings auf einmal ein komplett schneebedeckter Abschnitt zu überwinden ist, kostet mich in diesem Moment jeden Nerv. Aber wir haben es geschafft und sogar in einer Zeit, die ein paar Sekündchen besser ist, als bei der ersten Durchfahrt. Der nächste Morgen: 10 Wertungsprüfungen liegen vor uns und über uns scheint die Sonne über dem oberbayerischen Himmel. Traumbedingungen also, eine Rallye zu fahren. Ein schönes Gefühl. (ar/ds)
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