Dabei ist hier zu Lande das Ausrast-Verhalten regional durchaus unterschiedlich. Am lautesten - und das zu einem Drittel sogar täglich - erregen sich Berliner, dicht gefolgt von Rheinländern, Westfalen, Schwaben und Bajuwaren beiderlei Geschlechts. Ruhiger lassen es hingegen Thüringerinnen und Thüringer sowie Sächsinnen und Sachsen angehen. Im Gegensatz zu ihren Pendants in der Hauptstadt benehmen sie sich ausgesprochen zivilisiert.
Interessant auch der Prozentsatz jener Befragten, die am Steuer täglich die Beherrschung verlieren, aufgesplittert nach Marken. Sind es etwa die üblichen Verdächtigen in einem BMW oder Mercedes? Mitnichten. Einsam an der Spitze liegen Fahrerinnen und Fahrer eines Minis. Meist absolut brav verhalten sich Lenkerinnen und Lenker am Steuer eines Seat, Peugeot oder Nissan.
Für alle aber drängt sich die Frage auf: Warum verlieren manche Menschen im Auto die Beherrschung indem sie brüllen, toben oder gar anderen den Stinkefinger zeigen? Warum benehmen sich viele völlig daneben und fühlen sich unbeobachtet obwohl sie jeder sehen kann? Wer hat nicht schon mal einer roten Ampel gewartet und im Rückspiegel gesehen, wie sich der Hintermann hemmungslos in der Nase bohrt oder die Hinterfrau ihr Makeup auffrischt?
Für Antworten darauf sind Psychologen gefragt. Sie sagen, dass sich Teilnehmer am Straßenverkehr anonym fühlen und sich genauso auch verhalten. Verstärkt wird diese Anonymität durch die Kurzzeitigkeit ihrer Beziehungen zu den anderen Verkehrsteilnehmern. Meist sind es ja nur Sekunden oder gar Bruchteile davon, in denen sie mit anderen Kontakt haben. Hinzukommt, dass sie sich in einem geschlossenen Raum wie in einem Käfig sitzen, in dem sie sich geschützt fühlen. Kommuniziert wird weniger mit Worten als mit Hupe, Lichtsignal oder Gesten.
Auto heißt im Griechischen „selbst". Das „Auto-Selbst" reicht vom Heck bis zur vorderen Stoßstange. Jeder reagiert empfindlich auf Berührungen oder Grenzüberschreitungen durch andere - so als würde er selbst körperlich betroffen. Im Verkehr sind die Grenzen des Ichs bis auf die Ausmaße des jeweiligen Gefährts. Und das muss nicht nur das Auto sein. Beim Tankerkapitän ist es die Schiffswand.
Im Verkehr spielen sich Beziehungen weit unbewusster ab als in gesellschaftlichen Gruppen, denn da wird nicht geredet, da wird gefahren. Laut Psychologie wird überall dort, wo gehandelt wird, weniger gedacht. Weil Autofahrer sich in einem anonymen, fremden und oft schnell veränderbarem Raum befinden, sind sie ängstlicher, gespannter und viel mehr auf den Schutz des eigenen Selbst, also ihres Autos, angewiesener reagieren dort sehr schnell aggressiv. Sie schieben gerne alle Schuld von sich auf andere, wenn etwas nicht so klappt wie sie es sich vorstellen. Die fahren eben zu langsam, zu schnell, zu anfängerhaft oder zu dämlich. Es kommt zu Schimpftiraden mit Ausdrücken, die nicht für andere Ohren bestimmt sind.
Aber all das hat auch sein Gutes. Diese Verkehrsbeziehungen dienen der Entlastung und können sogar dazu dienen, Spannungen aus anderen zwischenmenschlichen Beziehungen loszuwerden. Wie schön kann doch der gestresste Familienvater ganze Schimpfkanonaden auf andere Autofahrer loslassen – und dabei Frau und Kinder meinen. Die sind dann fein raus. Das Gewitter geht schnell woanders nieder, und der Familienfriede ist gerettet. (ampnet/hrr)
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