Donnerstag, 17. März 2011 1911 – „Blitzen-Benz“ wird zum schnellsten Fahrzeug
Rekordfahrten auf der Brooklandsbahn in England, 22. Dezember 1913. L.G. Cupid Hornsted mit einem Benz 200 PS, einer modifizierten Variante des Blitzen-Benz.
Der Benz 200 PS Rekordwagen ist Anfang des 20. Jahrhunderts das schnellste Automobil der Welt. Victor Héméry überschreitet mit dem in Mannheim gebauten Wagen am 8. November 1909 auf der Rennstrecke von Brooklands in England erstmals in einem Automobil mit Verbrennungsmotor die Geschwindigkeitsgrenze von 200 km/h. Die Entwicklung des Benz 200 PS Rekordwagens beginnt im 1909 bei Benz & Cie. in Mannheim unter der Leitung von Victor Héméry. Der 1876 in Brest geborene Franzose ist einer der erfolgreichsten Rennfahrer seiner Zeit und wird 1907 von Benz & Cie. verpflichtet. Als Basis für das neue Fahrzeug dient der Benz 150 PS Rennwagen. Der Hubraum des 15,1-Liter-Motors wird durch Vergrößerung der Bohrung auf 185 Millimeter auf das gewaltige Maß von 21,5 Liter gebracht. Das ist bis heute der hubraumstärkste Motor, der jemals für einen Renn- oder Rekordwagen von Mercedes-Benz und den Vorgängermarken verwendet worden ist. Im Benz Rekordwagen leistet das Aggregat bis zu 147 kW (200 PS).
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Bereits die ersten Rekordfahrten des Benz 200 PS Rekordwagens zeigen, dass das Auto alle bis dahin bekannten Grenzen verschiebt. So sind beispielsweise sämtliche europäischen Rennstrecken für die mit dem überstarken Wagen angepeilten Geschwindigkeiten nicht geeignet. Benz & Cie. weiß, dass es passende Strecken auf der anderen Seite des Atlantiks in den USA gibt, und deshalb entscheidet man sich in Mannheim, dort bei Rekordfahrten anzutreten. Dem Geschäft wird es sowieso nicht abträglich sein, wenn man in Nordamerika mit dem Rekordwagen erfolgreich ist, denn die Vereinigten Staaten sind ein wichtiger Markt. So wird der neu karossierte Wagen nach einigen Probefahrten rund um Mannheim im Januar 1910 nach Amerika verschifft. Geplant ist, dass George Robertson mit dem Auto gegen Ralph de Palma antritt, der auf vielen amerikanischen Rennstrecken Rekorde hält. Doch es soll anders kommen: Der Veranstaltungsmanager Ernie Moross erfährt von der Ankunft des Fahrzeugs beim Benz-Importeur Jesse Froehlich in New York und handelt mit ihm ein Tauschgeschäft aus: Er gibt seinen Benz 150 PS Grand-Prix-Wagen in Zahlung, legt noch 6.000 Dollar darauf und wird Besitzer des Rekordwagens. Dem geschickten Geschäftsmann Moross fällt auch gleich ein werbewirksamer Name ein: Weil das Auto schnell wie der Blitz (Englisch: Lightning) zu sein scheint, nennt er ihn „Lightning Benz“. Dieser Name wird auch auflackiert. Sein Fahrer Barney Oldfield tritt ohne spezielle Vorbereitung am 16. und 17. März 1910 am Strand von Daytona in Florida zur Rekordjagd an. Überliefert ist eine neue Spitzenmarke von 211,4 km/h. Damit ist der Dampfwagen-Rekord von Marriott eigentlich gebrochen. Doch die A.I.A.C.R. (Association Internationale des Automobile Clubs Reconnus), das höchste Aufsichtsgremium des Automobilsports und Vorläuferorganisation der heutigen Fédération Internationale de l’Automobile (FIA), erkennt den Rekord nicht an, weil der Benz nicht – wie in den Wettbewerbsbestimmungen festgelegt – die Distanz auch in Gegenrichtung durchfährt und das Mittel aus beiden Läufen den gültigen Wert ergibt. Burman tritt am 23. April 1911 in Daytona Beach an, der breite und lange Strand eignet sich wunderbar für schnelle Fahrten. Er nutzt das volle Potenzial des Fahrzeugs und erzielt auf der Meile mit fliegendem Start eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 228,1 km/h, auf dem „fliegenden“ Kilometer sind es 226,7 km/h. Das ist ein neuer absoluter Landgeschwindigkeitsrekord, den bis 1919 kein anderes Fahrzeug übertreffen wird. Erst Ralph de Palma erzielt am 12. Februar 1919 in Daytona Beach auf einem Packard einen neuen Weltrekord über die „fliegende“ Meile mit 241,2 km/h (149,875 mph). Der Benz 200 PS Rekordwagen ist 1911 nicht nur schneller als alle anderen Automobile und Lokomotiven (der Schienenfahrzeug-Rekord von 1903 liegt bei 210 km/h), sondern sogar doppelt so schnell wie ein Flugzeug der damaligen Zeit. Für den Rest der Saison tritt der „Blitzen-Benz“ mit neuer „Kriegsbemalung“ auf: Ihm sind jetzt ein riesiger Reichsadler und breite Zierlinien aufgemalt worden. Zudem hat man einen Tachometer montiert, dessen Übertragungswelle außen am Fahrzeug vorbei zum rechten Vorderrad führt. Der „Blitzen-Benz“ tourt durch die USA und ist eine Attraktion auf vier Rädern. Doch eine Änderung des Reglements im Jahr 1913 beendet das Engagement: Die Hubraumgröße wird auf 7,4 Liter begrenzt. Der legendäre „Blitzen-Benz“ geht in den Besitz von Stoughton Fletcher über, der ihn von Burman im Verlauf des Jahres 1914 umbauen lässt. Im Oktober 1915 verkauft Fletcher den Wagen an Harry Harkness. Am 2. November 1915 taucht das Fahrzeug wieder in der Öffentlichkeit auf: Als „Burman Special“ steht er am Start in der Sheepshead Bay, New York/USA, um gegen Ralph de Palma auf Sunbeam zu einem Vergleichsrennen anzutreten.
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