Hauptgegner sind spezialisierte Fotografen, in Deutschland nach dem Objekt ihrer Begierde Erlkönig-Jäger genannt, im englischen Sprachgebrauch prosaisch Foto-Spione gerufen. Die Prototypen-Paparazzi wissen ziemlich genau, wo zwischen Nordkap und Nürburgring-Nordschleife, zwischen Arizona und Afrika die bevorzugten Erprobungsstrecken der Autoindustrie liegen. Konkurrenz bekommen sie zunehmend von Amateuren, die mit ihrem Fotohandy einen Zufallstreffer knipsen - oder eben auch nicht: Da landet auf den Redaktionstischen manches Bild eines Serienproduktes, das sich nur dadurch auszeichnet, dass es auf dem Heimatmarkt des Fotografen nicht verkauft wird und daher exotisch und geheimnisvoll erscheint. Professionelle Bilder geheimer Erprobungsfahrzeuge dagegen erzielen, je nach Marke, Zeitpunkt und Qualität der Bilder, einen fünfstelligen Preis. Und beschäftigen einen eigenen, kleinen und feinen Berufstand: die Enttarner. Früher setzten gelernte Designer die Fotos der getarnten Prototypen künstlerisch mit Buntstift und Tusche in häufig sehr genau zutreffende Bilder der Neuheiten um. Heute sind es Photoshop-Retuscheure, die versuchen, ein realistisches Neuheitenbild zu erschaffen. Hinweise geben ihnen dabei nicht nur die Erlkönigfotos, sondern auch die so genannten Designstudien, mit denen die Autowerke auf Messen den Geschmack des Publikums testen und gleichzeitig den Appetit anregen wollen. Auch diese Studien würden die Prototypen-Schützer am liebsten tarnen. Aber man lässt sie einfach nicht.
Die grösste Schwachstelle aller Täuschungsmanöver sind die mit den Versuchswagen befassten Techniker. Fehler passieren, wo immer Menschen tätig sind, und nach dem Ende eines anstrengenden Werkstatttages besteht die Gefahr, dass eine solche Persenning nicht korrekt befestigt wird. Um Nachlässigkeiten der Testfahrer und Ingenieure möglichst auszuschliessen, gibt es Opel-intern ein striktes Regelwerk, wie mit Prototypen umzugehen ist. Diese Richtlinie 531 bestimmt zum Beispiel, dass mit einem getarnten Versuchswagen keinesfalls auf öffentlichen Plätzen anzuhalten ist, etwa um den kleinen Hunger zwischendurch an einem Schnellimbiss zu stillen. Auch ist stets eine Abdeckplane im Fahrzeug mitzuführen - auch Opel der Zuverlässige neigt gelegentlich zu einer Panne, wenn er noch im Versuchsstadium ist, und muss dann dringend komplett verhüllt werden. Zum Schutz der Werkgeheimnisse werden die Prototypen auf öffentlichen Strassen auch stets von einem zweiten Fahrzeug begleitet, damit Hilfe nah ist, wenn Hilfe gebraucht wird. Für grössere Transportstrecken, etwa zu Versuchsfahrten in Finnland, sind die Prototypen in geschlossenen Lastwagen zu transportieren. Allzu häufig wurde früher von findigen Fotografen mal eben schnell die Plane gelupft, während der Lastwagenfahrer eine wohl verdiente Pause machte. Und wozu das alles? Von neuen Autos lebt, um neue Autos dreht sich alles in der Automobilindustrie. Für zwei Interessengruppen sind Neuigkeiten über geplante Produkte von besonderem Interesse: Wettbewerber und Medien. Wollen die einen auf Neuheiten möglichst schnell mit eigenen Innovationen reagieren, ist für die anderen der Nachrichtenwert der Neuigkeiten ein bewährtes Mittel, um Konsumenten zum eigenen Medium zu locken.
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