Dienstag, 13. Januar 2009 Detroit 2009 - Vision oder Illusion
Jim und seine Kollegen beim Protest der Gewerkschaft vor der Cobo Hall in Detroit. Foto: UnitedPictures
Jim trug bei der Demonstration vor der Cobo Hall in Detroit, wo gerade der erste Pressetag der North American International Auto-Show (NAIAS) anlief, ein Transparent vor sich her, auf dem er den Medien die Schuld an der Misere der amerikanischen Automobilindustrie gab. Gemeinsam mit knapp 50 Demonstranten von der United Auto Workers Gewerkschaft (UAW) klagte er Politiker und Bosse gleichermaßen an und skandierte: "Not one dollar, not one dime, cutting wages is a crime." Jim ist überzeugt davon, dass es kriminell ist, Einkommen zu kürzen. Deswegen klagte er sein Leid direkt in ein Mikrofon des Österreichischen Fernsehens.
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Jim ist 54 Jahre alt, erzählt er. Seit März vergangenen Jahres ist er Rentner. Er war mit der Zusage in die Rente geschickt worden, seine Bezüge und seine Krankenversicherung bis ans Lebensende von Ford bezahlt zu bekommen. 50'000 Dollar hat er im Jahr. Der Reporter lässt das Mikrofon sinken: "In was für einer Welt leben die hier eigentlich?" Und Jim reiht sich wieder in den typischen amerikanischen Protest-Rundmarsch ein, laut rufend: "Wer Amerika stark halten will, darf die Gewerkschaften nicht killen." Die Zahl ist unwidersprochen: Jedes Auto von General Motors muss erst einmal 2200 US-Dollar für die Pensionskasse und die Krankenversicherung verdienen. Das alles – so fürchtet die UAW nicht zu Unrecht – soll nun in Frage gestellt werden. Natürlich wollen die Unternehmen dieses enorme Belastung loswerden, doch Jim droht mit seinen Kollegen: "Wir werden für unsere Renten kämpfen!" und natürlich auch für die kostenlose Gesundheitsversorgung. Und drinnen in der Cobo Hall wurde nur wenige Stunden zuvor der typische und erfolgreichste amerikanische Drei-Tonner-Truck Ford F 150 mit Achtzylinder-Motor zum "Truck of the Year" gekürt. In was für einer Welt leben die hier eigentlich? Man kann nicht sagen, dass sich Amerikaner wie Jim dem Wandel und den notwendigen Konsequenzen aus der Finanz- und Konjunkturkrise völlig entzogen hätten; denn immerhin erreichte ein Mercedes-Benz ML 320 Bluetech den dritten Rang in diesem alljährlichen "Truck oft he Year"-Ranking in Detroit, wenn auch mit grossem Abstand hinter dem ebenfalls uramerikanischen Dodge Ram. Immerhin ruft Jim auch diesen Slogan: "Grüne Autos sind die Lösung, baut sie in den USA!" Aber was hilft’s, wenn der Ford F 150 - dem Unternehmen sei’s gegönnt - sich wieder hervorragend verkauft. Die einen sagen, dass liegt am dramatisch gesunkenen Preis für Benzin, der zur Zeit nur noch bei rund 40 Eurocent pro Liter liegt. Die anderen drücken ihre Hoffnung aus, dass genug Amerikaner dazugelernt haben und verbrauchsfreundlichen Fahrzeugen den Vorzug geben, obwohl der Sprit nicht mehr das Dreifache des heutigen Preises kostet. In den Gesprächen auf der Messe bricht aber auch Trotz durch. Vor der Tür rufen die Demonstranten: "Wir bauen die besten Autos der Welt" und drinnen spricht man über verschiedene Auto-Kulturen. Der Amerikaner hat es eben gern etwas grösser. Und zu dem unwiderlegbaren Argument, dass der Kunde nun einmal entscheide, welches Auto er kaufe, dringt von der Strasse ein gar nicht mehr leises: Buy American! Drinnen, in der Messehalle bietet sich aber ein anderes Bild. Mehr Kleinwagen sah man hier nie. Die Amerikaner lassen sich von ihren europäischen Töchtern mit entsprechenden Fahrzeigen versorgen und verkaufen die hier den Journalisten als strategische Entwicklungsleistung. So begann die Pressekonferenz bei Ford mit einer eindrucksvollen Zusammenstellung der Auszeichnungen, die Ford-Modelle im vergangenen Jahr mit nach Hause nehmen konnte. Natürlich war der F 150 dabei, doch der überwiegende Rest ging 2008 an Fahrzeuge des Konzerns aus Europa. Und Ford Chef Allan Mullaly verkündet stolz, dass der Fiesta im Spätsommer auch in den USA zu haben sein wird. So gross ist der Druck der Politik auf die Grossen Drei Chrysler, Ford und General Motors (GM), dass sich GM und Ford auf die Leistungen ihrer internationalen Töchter besonnen. Chrysler, die mehr noch als die beiden anderen im eigenen inneramerikanischen Saft kochen, fehlt diese Möglichkeit. Aber alle drei müssen bis Ende März der Politik beweisen, dass sie überlebensfähig sind. Da greift man gern uf die Familiengeschichte und den Familienschatz zurück. Aber offenbar ist man sich gar nicht sicher, ob die Europäisierung des Angebots wirklich ausreichen wird, die Politiker zu überzeugen. 17,4 Milliarden US-Dollar Kredit kann Washington von GM und Chrysler zurückfordern, wenn die Politik nicht überzeugt ist. Da hat man besser noch einen zweiten Plan, am besten eine amerikanische Lösung. (ar)
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