Auch wenn das Orchester nur aus drei Mitgliedern besteht, sein Sound geht tief unter die Haut. Versammelt sind 18 Zylinder, verteilt auf drei Lkw. Im Vordergrund der hell-nervöse und feinnervige Klang eines Dreiliters aus dem legendären Sportwagen Mercedes-Benz 300 SL von 1955. Ergänzt vom Schnorcheln eines knorrigen Vierzylinder-Benziners aus den dreißiger Jahren. Im Hintergrund grollt kraftvoll der mächtige V8-Turbodiesel im Schwer-Lkw Mercedes-Benz Actros des Jahrgangs 2009, sein Bass basiert auf 15,9 Liter Hubvolumen. Drei Lkw sind versammelt, so grundverschieden wie ihre Baujahre. Gemeinsam ist ihnen ihre Aufgabe: Es handelt sich um Renntransporter für die Silberpfeile von Mercedes-Benz. Die drei Generationen des Familientreffs bestätigen die These, dass der Nachwuchs seinen Vorfahren über den Kopf wächst. Hoch ragt der aktuelle Actros auf, mitsamt Sattelauflieger streckt er sich auf 16,5 Meter Länge und vier Meter Höhe. Vor diesem Riesen wirken seine Vorfahren geradezu zierlich und schrumpfen zu Spielzeugformat. Da wäre der Mercedes-Benz Lo 2750 aus den dreißiger Jahren mit geschwungenen Kotflügeln, einem kantigem Fahrerhaus und chromblitzender Kühlermaske mit stolz aufgepflanztem Stern. Seine Typenformel geht auf die Tragfähigkeit zurück: Damals zählte er als Zweidreiviertel-Tonner, was in etwa seiner Nutzlast entspricht. Heute würde man den Lo 2750 nach seinem zulässigen Gesamtgewicht als 6,5-Tonner deklarieren. Der dritte im Bunde muss auf eine offizielle Bezeichnung verzichten. Er benötigt auch keinen Namen, denn bekannt ist er unter seinem Spitznamen: „Das Blaue Wunder“. Warum der berühmte Renntransporter des Jahres 1955 so heißt, macht die geduckte blaue Karosserie mit nach vorn verlegtem Fahrerhaus in all ihrer Schnittigkeit auf Anhieb klar: Hier hat sich ein Sportwagen als Renntransporter verkleidet.
Das Blaue Wunder: spektakulärer Renntransporter von 1955
Den schnellen Renntransporter hatte der Prototypenbau von Mercedes-Benz auf Wunsch des unvergessenen Rennleiters Alfred Neubauer eigens für besonders eilige Frachten entwickelt. Die einzigen Vorgaben: Er sollte schnell sein und einen Grand-Prix-Rennwagen oder einen Rennsportwagen befördern können. Ergebnis ist ein einzigartiges Fahrzeug, das damals wie heute fasziniert. Die Plattform bildet der verlängerte Rohrrahmen des Luxus-Coupés Mercedes-Benz 300 S. Den leistungsfähigen Motor - schon mit Benzin-Direkteinspritzung - steuert der Sportwagen 300 SL bei, Karosserieteile wie die Türen und Kotflügel sowie Elemente der Ausstattung kommen von der gutbürgerlichen Limousine Mercedes-Benz 180. Es muss ein imponierendes Bild gewesen sein, wenn der Renntransporter mit seiner kostbaren Fracht über die Autobahn zog: Ein 6,75 Meter langer Transporter, zwei Meter breit, dazu mannshoch, extravagant geformt und für die damalige Zeit unerhört schnell unterwegs. Nach dem Rückzug von Mercedes-Benz Ende 1955 aus dem Rennsport dient der Renntransporter zunächst als Ausstellungsfahrzeug in den USA, dann verrichtet er zehn Jahre lang Arbeit im Fahrversuch von Mercedes-Benz. Rudolf Uhlenhaut, zur „aktiven“ Zeit des Renntransporters Leiter der Rennabteilung und später Vorstand, lässt das Unikat 1967 verschrotten. Jahrzehnte später baut Mercedes-Benz den spektakulären Renntransporter nach alten Fotos wieder neu auf.
1934: Lkw übernehmen den Transport der neuen Silberpfeile
Den fahrgast- und ladefreundlich niedrigen Rahmen hatte Mercedes-Benz bereits in den zwanziger Jahren entdeckt und später als Plattform für Renntransporter genutzt. Schon 1934 im Geburtsjahr der Silberpfeile übernehmen Lastwagen den Transport. In großen weißen Lettern steht stolz „Mercedes-Benz Rennabteilung“ auf der hölzernen Bordwand des Lo 2750, so die nüchterne Bezeichnung des Renntransporters.
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