Sonntag, 1. Juni 2008 VW-Gesetz ohne Bestand
Es ist schon ein jämmerliches Schauspiel, das die Bundesregierung in Sachen VW-Gesetz betreibt. Allen voran ist Bundesjustizministerin Brigitte Zypries wild entschlossen, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs gerade in seinen elementarsten Bestandteilen zu missachten. Dass sich sogar die Kanzlerin mitreissen lässt, obwohl sie sonst bei jeder Gelegenheit eine Hymne auf die EU und ihre Institutionen anstimmt, ist beschämend. War das Urteil schon eine Ohrfeige für die Verteidiger der 20-Prozent-Höchststimmrecht-Regelung, so ist das jetzt anlaufende Ignoranz-Verfahren nach dem Motto "Augen zu und durch" eigentlich an Arroganz kaum zu überbieten.
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Im Kabinett hat allerdings Wirtschaftsminister Glos seine Zustimmung verweigert, weil er weiss, was zwar alle wissen, aber aus wahltaktischen Gründen leugnen: dass auch die Neufassung des VW-Gesetzes in Brüssel durchfallen wird. Das ist für jeden vernünftigen Juristen absolut unumstritten. Selten zuvor wurde ein Urteil des EU-Gerichts so offensichtlich politischer Taktiererei und Willkür geopfert. Das Urteil in Brüssel mag unpräzise formuliert sein, aber nicht, weil die Richter es nicht besser konnten, sondern weil sie es für kristallklar und unmissverständlich hielten, was sie da geurteilt und begründet haben. Das Urteil anders zu interpretieren und haarspalterische Schlüsse daraus zu ziehen, ist einer Justizministerin unwürdig. Eigentlich genügt normaler Menschenverstand ohne juristische Kenntnisse dazu, das Gesetz aus grauer Vorzeit (lange bevor es die Globalisierung und eine EU in ihrer heutigen Form gab) als unzulässig zu bezeichnen. Dass das Land Niedersachsen mit 20 Prozent Stimmanteil mehr zu sagen haben soll als ein Aktionär mit 51 Prozent, ist nach EU-Recht einfach nicht mehr haltbar. Ein Sonderrecht im Vergleich zu anderen Aktiengesellschaften lässt sich juristisch nicht begründen. Das weiss natürlich auch die Bundesregierung. Und Niedersachsens Ministerpräsident Wulff, der sich einerseits als Wirtschaftsliberaler gibt, andererseits seinen Wählern bei VW das Festhalten an der Sperrminorität schuldet. Alles soll so aussehen, als habe die Bundesregierung mit der Neufassung des Gesetzes Tausende von Arbeitsplätzen gerettet, die der böse Hauptaktionär Porsche mit Sicherheit in Billiglohnländer umzusiedeln gedenkt. Und weil man in Berlin und Hannover auch weiss, dass es letztlich nur darum gehen kann, populistisch Widerstand zu leisten, lässt sich die Regierung ein Hintertürchen offen: Die Sperrminorität soll dann doch noch gekippt werden, falls Brüssel auch gegen die Neufassung vor Gericht geht. Da diese Signale bereits gekommen sind, ist klar, dass die Sperrminorität gekippt wird. Möglicherweise denkt man in Regierungskreisen vielleicht auch darüber nach, den VW-Anteil des Landes auf 25 Prozent aufzustocken und will jetzt nur mal Zeit gewinnen, bis man eine Möglichkeit der Finanzierung gefunden hat. Wer weiss? Wie man dieses Milliardengeschäft dann allerdings dem Steuerzahler erklären soll? Wie Christian Wullf sagen kann, dass "der Beschluss des Bundeskabinetts zum VW-Gesetz sachgerecht ist, weil er die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes 1:1 umsetzt", bleibt sein Geheimnis. Die Brüsseler Behörde und wohl auch das EU-Gericht sehen das eben nicht so. Wie die Diskussion um rechtliche Positionen in unserem Lande inzwischen geführt wird, macht VW-Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh deutlich: "Die EU-Kommission wird sich überlegen müssen, ob sie sich auf die Seite von Milliardären oder auf die Seite von Arbeitnehmern stellt." Was ist das für eine Argumentation? Wenn der Milliardär im Recht ist, hat sich die Kommission schlicht und einfach auf die Seite des Rechts zu schlagen. Und das wird sie mit Sicherheit auch tun. (ar/PS/HU)
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