Samstag, 4. April 2020 Vor 75 Jahren: US-Truppen befreien Volkswagenwerk
US-Truppen am Bahnhof von Wolfsburg mit dem Kraftwerk des Volkswagenwerks im Hintergrund.
Vor 75 Jahren, am 11. April 1945, befreien US-Truppen das Volkswagenwerk und die „Stadt des KdF-Wagens“, das spätere Wolfsburg. Im Volkswagenwerk erleben rund 7.700 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ihre Befreiung. In den acht folgenden Wochen treffen die Amerikaner wegweisende Entscheidungen für die Zukunft der Menschen, der Stadt und des Werks. Das kurze wie prägende Intermezzo der US-Militärs legt das Fundament für Demokratie, Freiheit und Wiederaufbau in der Region. Bereits im Mai werden im Volkswagenwerk wieder Fahrzeuge gebaut – die nun „Volkswagen Jeeps“ genannten Kübelwagen für das US-Militär. Die amerikanische Besatzungszeit endet Anfang Juni 1945, als die Region Teil der britischen Besatzungszone wird.
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Am 10. April werden im Volkswagenwerk die letzten 50 für die deutsche Wehrmacht vorgesehenen Kübelwagen (Typ 82) fertiggestellt. Panzeralarm kündigt die heranrückenden US-Truppen an. Im Werk, das 1944 durch Luftangriffe zu großen Teilen zerstört wurde, endet die Kriegsproduktion nach 66.285 Fahrzeugen.
Befreiung und Besatzung in zwei Etappen
Am 11. April 1945 befreien US-Truppen das Werk und die Stadt am Mittellandkanal. Der Kampfverband rollt von Fallersleben den Kanal entlang und durch die Stadt hindurch zur Brücke in Heßlingen, ohne auf militärischen Widerstand zu treffen. Die Amerikaner ziehen noch am gleichen Tag weiter in Richtung Salzwedel zur Elbe, die sie vor der sowjetischen Roten Armee erreichen wollen. Dabei lassen sie das Werk und die Stadt zurück. Sie sind auf ihren Karten gar nicht verzeichnet.
Vorübergehend entsteht am Mittelandkanal ein Machtvakuum: Nachdem zuvor die SS und der Werkschutz abgezogen oder vor den US-Truppen geflüchtet sind und der Volkssturm aufgelöst ist, sehen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene das Ende ihrer Leidenszeit gekommen. Sie haben Hunger und ihre Wut über das ihnen angetane Leid und Unrecht entlädt sich. Es kommt zu ersten Plünderungen, Zerstörungen und Gewalttätigkeiten. Aus Reihen der Zwangsarbeiter bildet sich ein Ordnungsdienst, darunter sind auch französische Kriegsgefangene und zum Arbeitsdienst gezwungene niederländische Studenten. Sie erbeuten Waffen und Fahrzeuge im Werk und nutzen die Feuerwache als Hauptquartier.
Der Leiter des Kraftwerks, Fritz Kuntze, hat sich dem Befehl des Gauleiters, Brücken und Kraftwerk zu sprengen, widersetzt. Nun will der Deutsch-Amerikaner verhindern, dass das für die Energieversorgung lebensnotwendige Kraftwerk durch Sabotage Schaden nimmt. Kuntze fährt mit zwei ebenfalls englischsprachigen Ingenieuren und dem katholischen Prälaten Antonius Holling zu den in Fallersleben verbliebenen US-Einheiten. Sie überzeugen die GIs, militärische Stärke zu zeigen: Am 15. April besetzen die Amerikaner Werk und Stadt, entwaffnen den selbst ernannten Ordnungsdienst und übernehmen die Verwaltung. Nach und nach treffen auch die Stäbe der 9. US-Armee ein.
Die Menschen
Rund 20.000 Frauen und Männer leisten während der NS-Diktatur bei der Volkswagenwerk GmbH Zwangsarbeit, davon etwa 5.000 KZ-Häftlinge. Im Jahr 1944 arbeiten zwei Drittel der Arbeiterinnen und Arbeiter gegen ihren Willen, unter Zwang und rassistischer Willkür im Werk, darunter sind jüdische Frauen und Männer, Kriegsgefangene, Dienstverpflichtete, Deportierte und Verschleppte aus Ländern Europas, die von der deutschen Wehrmacht besetzt sind.
Am Tag der Befreiung arbeiten im Volkswagenwerk etwa 9.100 Frauen und Männer. Von ihnen sind mehr als 7.700 ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Die 3.000 Ostarbeiter aus der Sowjetunion, vor allem Ukrainer, bilden die größte Gruppe.
Die Amerikaner richten Wolfsburg als Sammelpunkt für alle „displaced persons“ im Landkreis Gifhorn ein und organisieren deren Repatriierung. So starten im April und Mai 1945 am Bahnhof die ersten Züge, zumeist mit offenen Güterwaggons, in die Heimatländer der ehemaligen Zwangsarbeiter.
Das Werk
Die amerikanischen Befreier richten im Volkswagenwerk einen Reparaturbetrieb für ihre eigenen Militärfahrzeuge ein. Sie stoßen im Werk und der Umgebung auf Bauteile und Lagerbestände und erkennen das Potenzial des Werks für die Fahrzeugfertigung. Noch im Mai 1945 meldet das Hauptquartier der 9. US-Armee die Aufnahme der Montage von „Volkswagen Jeeps“ im Volkswagenwerk mit rund 200 Beschäftigten. Als Werkleiter setzen die Amerikaner Rudolf Brörmann, zuvor Leiter der Inspektion, ein. 133 Nachkriegs-Kübelwagen werden unter provisorischen Bedingungen für die Mobilität der US-Truppen gefertigt. Sie stehen für die Wiederaufnahme der Produktion und leiten den Umbau der Rüstungsfabrik zur zivilen Fahrzeugfabrik ein.
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