Frage: Herr Lichte, bald hat das Warten ein Ende. Am 9. Februar stellt Audi den e-tron GT vor. Ist die Präsentation eines solchen Modells auch nach sieben Jahren als Designchef der Marke immer noch aufregend?
Marc Lichte: Die Weltpremiere ist ein magischer Moment. Das gilt für das gesamte Team bei Audi Design wie auch für mich persönlich. Mit der Vorstellung eines neuen Autos endet ein Entwicklungsprozess, der in der Regel vier Jahre dauert. Ein langer Weg mit einer Menge Arbeit, vielen Diskussionen und teils schwierigen Entscheidungen. Am Ende steht aber ein gemeinsames Ergebnis, auf das wir alle stolz sind.
Stolz ist das richtige Stichwort. Mit ihrer Bewertung des Showcars haben Sie die Messlatte für den e-tron GT denkbar hoch gelegt. Was zeichnet das Auto in seiner Gestaltung aus?
Lichte: Gutes Design entsteht dann, wenn ein Produkt ästhetisch ist und gleichzeitig funktional, wenn es Teil eines nahtlosen Gesamterlebnisses wird. Die Grundlage für Ästhetik liegt dabei in den Proportionen: kurze Überhänge und ein langer Radstand, dazu eine schlanke Kabine auf einem kräftigen Körper. All das vereint der e-tron GT in sich.
Wäre es also vermessen, dieses Auto als neue Design-Ikone von Audi zu bezeichnen?
Lichte: Ja, ohne Zweifel. Eine Design-Ikone lässt sich schliesslich nicht am Reissbrett kreieren. Diesen Ruf muss sich ein Auto auf der Strasse erwerben – in einem Umfeld, das aufgrund der Reizüberflutung nach Orientierung strebt. Echte Design-Ikonen haben deshalb etwas unverkennbar Klares: Drei Linien reichen zum Beispiel aus, um einen VW Käfer zu charakterisieren oder einen Porsche 911. Sie stehen für eine ganz klare Haltung.
Und welche Haltung will Audi mit dem e-tron GT vermitteln?
Lichte: Ganz eindeutig ist das „Vorsprung durch Technik“ – oder um unsere neue Markenstrategie zu zitieren: „Living Progress“. In unserer Historie haben bestimmte Modelle diesen Anspruch besonders geprägt: Der A2 stand für gnadenlose Effizienz, der TT für formalistisches Design, der R8 für kompromisslose Performance. Die Frage beim e-tron GT ist also nicht, ob er eine Design-Ikone ist, sondern wie genau er unsere Haltung zum Ausdruck bringt. Sprich: wie er „Vorsprung durch Technik“ neu interpretiert.
Welche Richtung schlagen Sie hier ein?
Lichte: Der e-tron GT ist ein Gran Turismo. Ursprünglich stand dieser Begriff für Sportwagen, die für Langstreckenrennen geeignet waren. GT-Modelle unterscheiden sich demnach von reinen Sportwagen durch mehr Komfort und einen grösseren Innenraum. Als vollelektrischer Gran Turismo interpretiert der e-tron GT diesen Spagat neu, indem er Performance nicht auf die schiere Leistung reduziert, sondern auch der Effizienz eine besondere gestalterische Bedeutung beimisst.
Effizienz als Grundgedanke für das Design. Was heisst das konkret?
Lichte: Je geringer der Luftwiderstand, desto grösser die Reichweite: Dieses physikalische Grundgesetz der Elektromobilität haben wir beim e-tron GT zum Gestaltungsprinzip gemacht. Die Form folgt der Funktion, Ästhetik erwächst aus Effizienz. Die neue Formensprache sorgt für einen stärkeren Fluss und ermöglicht dadurch eine ausgefeilte Aerodynamik. Damit bildet die Gestaltung des e-tron GT die Grundlage für das Design zukünftiger Elektro-Modelle.
Soweit das Exterieur. Aber wie lässt sich Effizienz in der Gestaltung des Innenraums zum Ausdruck bringen?
Lichte: Mit der Elektromobilität gewinnt der Innenraum an Leichtigkeit und Funktionalität – ein Raumangebot wie im nächsthöheren Segment. Aussen Kompakt, innen geräumig. Dem e-tron GT haben wir deshalb eine skulpturale Grundarchitektur gegeben, die neben der GT-typischen Sportlichkeit mit ihrer klaren Fahrerfokussierung auch die Nachhaltigkeit betont. Das Showcar aus dem Jahr 2018 war hier das Vorbild für das Serienmodell. Ein eigene Ausstattungslinie, die komplett ohne Leder auskommt und stattdessen ganz bewusst auf recycelte Materialien setzt.
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