Dienstag, 3. November 2015 Kampf um Grenzwerte und Vertrauen
Auf dem ADAC-Ecotest-Prüfstand. Foto:Auto-Medienportal.Net/ADAC
Auf den Prüfständen war die automobile Welt bis zu Volkswagens Dieselgate einigermaßen in Ordnung. Zwar konnten die dort gewonnenen Verbrauchs- und Abgaswerte in der Realität des Straßenverkehrs nicht bestehen, was vor allem umweltbewegte Zeitgenossen der Industrie immer wieder vorwarfen, doch die dort gewonnenen Ergebnisse stellten wenigstens eine Basis sicher, um einzelne Modelle miteinander zu vergleichen. Diese Basis wird in Europa nach dem sogenannten Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) ermittelt, der inzwischen in die Jahre gekommen ist und alles andere als „neu“ ist. Deshalb steht er kurz vor seiner Ablösung, was allerdings nicht bedeutet, dass er sich in den kommenden Jahren vollständig verabschieden wird.
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Klingt paradox, ist aber der nicht immer logischen Europäischen Gesetzgebung geschuldet, die die für die von 2021 an verschärften Abgasnormen (95 Gramm Kohlendioxid/CO2 je Kilometer) die mittels NEFZ ermittelten Werte nutzt, obwohl diese Testmethode bis dahin längst vom „Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure“ (WLTP) abgelöst sein wird, der mit Ausnahme der USA weltweit gelten wird. In den USA wird aktuell nach zwei Verfahren getestet. Neben dem Testverfahren der nationalen Umweltbehörde EPA setzen einige Staaten auf den strengeren kalifornischen CARB-Test des California Air Ressources Board. Eingeführt wurde der NEFZ von der Europäischen Kommission gegen Ende der 1990er Jahre, um, so der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA), „Verbrauchern und Politik in Europa einen einheitlichen Maßstab zu liefern“. Vor allem lieferte die Kommission den einzelnen Herstellern eine Vorlage, tief in die Trickkiste zu greifen, um die Ergebnisse auf den Prüfständen zu optimieren. Unter anderem wurde die Lichtmaschine während es Zyklus abgeklemmt, Karosseriefugen abgeklebt, der Luftdruck in den Reifen erhöht und die Motorsteuerung im Rahmen eines „Eco Tuning“ angepasst. Außerdem dürfen die Hersteller Leichtlauföle und Treibstoff sparende Reifen einsetzen. Wie bei allen Reglements wird beim NEFZ nach dem Motto „Was nicht verboten ist, machen wir“ verfahren. Das Ergebnis sind Werte, die sich um zehn bis 20 Prozent von den tatsächlichen Verbräuchen der Modelle unterschieden. Beim NEFZ stehen die Modelle 20 Minuten auf dem Prüfstand und legen dabei elf Kilometer mit Geschwindigkeiten von 34 bis maximal 120 km/h zurück. Das neue WLTP-Testverfahren soll die Ergebnisse von 2017 an näher an die Realität bringen. Dabei verlängert sich die Testphase auf 30 Minuten und die Distanz auf 23,25 Kilometer, die mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 46,6 km/h (maximal 131 km/h) zurückgelegt wird. „Im Gegensatz zum NEFZ ist der WLTP-Zyklus wesentlich dynamischer und hat deutlich mehr Beschleunigungs- und Bremsvorgänge als sein Vorgänger“, erklärt der VDA in einer Stellungnahme. Die Verbrauchswerte werden beim WLTP nach Schätzungen von Experten daher um bis zu 25 Prozent höher liegen.
Wenn das neue Testverfahren in zwei Jahren in Kraft treten sollte – aktuell muss noch die Behandlung von Plug-in-Hybridfahrzeugen geklärt werden – wird die automobile Welt nicht unbedingt einfacher. Zurzeit arbeiten Experten an einem Umrechnungsschlüssel, wie man die mit NEFZ gewonnenen Werte in die WLTP-Skala einpassen kann. Übersichtlich geht anders. Wenn der WLTP verbindlich wird, muss sich außerdem auch die Gesetzgebung ändern. Denn aktuell dürfen die Hersteller ausschließlich die mit dem NEFZ gemessenen Verbrauchs- und Abgaswerte angeben. Es bleibt also viel zu tun, bis eine einheitliche Lösung kommt, die realistische Werte liefert. Ob der von 2017 an vorgeschriebene Test im realen Straßenverkehr (Real Drive Emission) sich der Wirklichkeit annähert, ist alles andere als gewiss. Zumal die Grenzwerte sehr großzügige ausgelegt wurden. Hatte die Kommission ursprünglich bei Stickstoffoxiden eine Überschreitung der vorgeschriebenen Grenze von 80 Milligramm pro Kilometer um maximal 60 Prozent vorgeschlagen, so wurden daraus 110 Prozent. Erst von 2020 an sinkt die Grenze auf 50 Prozent. (ampnet/ww)
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