Anlässlich des Jubiläums entschied sich Pirelli, für das Jahr 2014 keinen neuen Kalender in Auftrag zu geben. Stattdessen veröffentlicht das Unternehmen erstmals einen eigentlich für 1986 vorgesehenen Kalender. Das Werk mit Fotos von Helmut Newton erschien damals nicht, sondern wurde seitdem im Geschichtsarchiv des Unternehmens aufbewahrt. Zu verdanken ist seine jetzige Herausgabe auch der Fondazione Pirelli, die den Kalender in langer und sorgfältiger Arbeit restaurierte. Mit dem Entschluss, den Pirelli-Kalender 1986 fast 30 Jahre später zu veröffentlichen, würdigt Pirelli das Jubiläum und nutzt zugleich den glücklichen Umstand, dass die Tagesdaten der Jahre 1986 und 2014 identisch sind.
„The Cal“ ist ursprünglich ein Projekt von Pirelli UK Limited, der britischen Tochtergesellschaft des Mailänder Konzerns, der dabei weitgehend freie Hand gelassen wird. Die Engländer suchten Anfang der 60er Jahre nach einer Marketingstrategie, um sich auf dem britischen Reifenmarkt von Wettbewerbern abzusetzen. Daher beauftragen sie im Jahr 1964 den englischen Bildkünstler und offiziellen Beatles-Fotografen Robert Freeman, unter der Leitung von Derk Forsyth, ein für die damalige Zeit völlig neuartiges Projekt ins Leben zu rufen.
Die ersten Kalender-Jahre sind geprägt vom wachsenden Erfolg der Beatles, der Rockmusik und des Minirocks, aber auch von Jugendprotesten und pazifistischen Bewegungen gegen den Krieg in Vietnam. The Cal entwickelt sich von seiner anfänglichen Rolle als „corporate gadget“ für die wichtigsten Kunden zu einem exklusiven Geschenk für wenige Auserwählte. Die Models stehen meist noch am Anfang ihrer Karriere. Sie werden vor der Kulisse exotischer Strände und faszinierender Landschaftsbilder abgelichtet. Doch mit den Jahren wird das Werk zum Indikator der sich wandelnden Zeit. 1972 stand erstmals eine Frau hinter der Fotokamera: Sarah Moon. Sie brach mit ihren Bildern einige Tabus der damaligen Zeit.
Die im März 1974 angekündigte Einstellung des Kalenders rief in den britischen und internationalen Medien ein größeres Aufsehen hervor, als es The Cal in seinen Anfängen gelang. Dies belegt den wachsenden Erfolg des Pirelli Kalenders. Im folgenden Jahrzehnt lebt der in einer Reihe von Büchern, gesammelten Werken und Anthologien weiter, die in verschiedenen Sprachen veröffentlicht werden. Das berühmteste Werk über die ersten zehn Jahre von erscheint im Jahr 1975. Das nostalgische Vorwort schrieb der Schauspieler David Niven.
1984 kam es schließlich zur lang ersehnten Neugeburt des Kalenders. Leiter des Projekts war Art Director Martyn Walsh. Er kehrte zum Ursprung zurück und integrierte in die Fotografien von Uwe Ommer auf unauffällige und fast unterschwellige Weise das Hauptprodukt des Konzerns: Reifen. An den Stränden der Bahamas erscheint neben den Frauen eine äußerst rätselhafte Spur: Es handelt sich um das Profil des Pirelli P6, des jüngsten Konzern-Produkts.
Dass die Newton-Aufnahmen 1986 nicht veröffentlicht wurden, lag an internen Rivalitäten zwischen der englischen Tochterfirma und dem italienischen Konzern, der The Cal Mitte der 80er Jahre an den Stammsitz holen wollte. So wurden zwei Fotografen beauftragt: Helmut Newton von Italien aus und Bert Stern in England. Nachdem der deutsche Fotograf die Location aus familiären Gründen verlassen hatte, kam Stern zum Zuge. Der von Newton konzipierte und aufgenommene Kalender wurde seitdem wie ein Familienschmuckstück aufbewahrt.
Im Jahr 1993, nach einem Führungswechsel an der Unternehmensspitze, erfolgte eine wesentliche Wende. Pirelli machte international mit einigen äußerst erfolgreichen Werbekampagnen von sich reden. Besonders bekannt wurden die Aufnahmen des farbigen Sprinters Carl Lewis in roten Damenschuhen mit Pfennigabsatz.
Seit seinem Entstehen ist der Kalender nur einer kleinen Gruppe von Kunden und Freunden des Hauses vorbehalten. Sie erhalten ihn als Geschenk. (ampnet/jri)
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