Seit dem ersten Winterreifen von Continental, dem M+S 14, sind die Anforderungen deutlich gestiegen. In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts fuhren die wenigen Autos bei winterlichen Straßenbedingungen eher auf losem Schnee. Der Continental M+S 14 wurde aufgrund seiner grobstolligen Profilstruktur noch als „Schneeprofil“ bezeichnet – heutige Winterreifen haben dagegen eine sehr filigrane Profilierung, die ihnen hilft, sich mit festgefahrenem Schnee zu verzahnen. Wer heute im Winter unterwegs ist, verlangt von seinen Reifen nicht nur den Grip auf Schnee – wohlbemerkt, festgefahrenem Schnee – sondern auch gute Wasserableitung, den Schutz vor Aquaplaning, präzises Handling, niedriges Abrollgeräusch, Hochgeschwindigkeitsfestigkeit und vor allem kurze Bremswege auf allen Untergründen. Für die Reifenentwickler bedeutet dies, eine Vielzahl von Zielkonflikten gleichzeitig zu managen und das komplexe System „Reifen“ kontinuierlich auf ein höheres Niveau zu bringen. Um die hohen Anforderungen der Autofahrer und Fahrzeughersteller zu erfüllen, sind moderne Winterreifen Alleskönner geworden. Unter rund sieben Grad Celsius bieten sie mehr Haftung als Sommerreifen, nutzen beim richtigen Einsatz weniger schnell ab und haben – die passende Konstruktion vorausgesetzt – ein harmonisches Reifen- / Fahrbahngeräusch. Da ihre Konstrukteure sie so perfekt entwickeln, sind sie die unbestrittenen Stars der Branche. Neben den inzwischen extrem komplizierten Lamellen, die den Profilblöcken ihr Maximum an Grip geben, denken sie sich laufrichtungsgebundene Versionen, asymmetrische Reifen und sogar asymmetrische und gleichzeitig laufrichtungsgebundene Pneus aus. Die letztgenannten Winterreifen sind dann jeweils speziell für die rechte und linke Fahrzeugseite hergestellt. Zwar bieten sie höchsten Grip auf verschneiter Fahrbahn, doch die aufwändige Logistik war zu kompliziert, so dass sie nach den üblichen Produktzyklen einen laufrichtungsgebundenen Nachfolger erhielten. Ein weiterer Schwerpunkt in der Winterreifenentwicklung ist die Lamellentechnologie. Gerade Lamellen, Sinunslamellen, Netzlamellen, Bienenwabenlamellen, verlinkte Lamellen, überkreuz verbundene Lamellen, Treppenlamellen – nichts scheint zu kompliziert zu sein, um noch mehr Haftung und damit noch mehr Sicherheit zu liefern. Neben der Profilgestaltung ist es besonders die Gummimischung, die einen echten Winterreifen ausmacht. Im Unterschied zu Sommerreifen werden bei Winterreifen sogenannte „tieftemperaturelastische Kautschuke“ verwendet, um die Gummimischung der Lauffläche selbst bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt geschmeidig zu halten. Dazu kommen Chemikalien wie Schwefel, Weichmacher, das bekannte Silika (Kieselsäure), Silane und Öle sowie Harze. Diese Mischungen sind von Hersteller zu Hersteller höchst unterschiedlich, so müssen einige Billigmarken mangels Know-how in der Verarbeitungstechnologie auf das relativ teure und kompliziert zu mischende Silika verzichten. Eines eint die unterschiedlichen Gummizusammensetzungen allerdings: Sie sind höchst geheim – niemand will dem Wettbewerb die Chance des „Nachmischens“ bieten. Spezialisten für unterschiedliche Anforderungen Schon früh in der Entwicklung zeigte sich, dass es nicht den einen, universellen Winterreifen gibt. Je nach Fahrzeug und Einsatzort müssen Spezialisten her – mal mit, mal ohne Spikes, mit unterschiedlicher Mischung und diversen Profilgestaltungen. Nur so wird man den weltweit sehr unterschiedlichen klimatischen Bedingungen, den verschiedenen Straßenverhältnissen und den vielfältigen Fahrzeugtypen gerecht. Alleine der Continental-Konzern hat mit Continental, Uniroyal, Semperit, General Tire, Gislaved, Viking, Barum, Matador und Mabor neun Winterreifen-Marken im Lieferprogramm. Nicht alle können oder sollen alles können: So sind die Produkte von Gislaved und Viking auf die skandinavischen, nordosteuropäischen und den russisch-asiatischen Märkte zugeschnitten.
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